Wenn am Montagabend um circa 21:45 Uhr die letzten Partien des 32. Spieltags in der Süper Lig abgepfiffen werden, könnte der Kampf um die Meisterschaft entschieden sein. Schon jetzt steht fest: Zum ersten Mal seit zehn Jahren heißt der Titelträger weder Galatasaray noch Fenerbahce oder Besiktas. In der Türkei – und vor allem in Istanbul – sorgt Basaksehir FK für die Wachablösung der großen Klubs und steht vor dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte.
Vier Punkte beträgt der Vorsprung des 1990 gegründeten Teams, das bis 2014 noch als Fußballabteilung der Istanbuler Stadtverwaltung fungierte, auf Trabzonspor. Bei zwei weiteren Spieltagen vor der Brust benötigt Basaksehir zum Titelgewinn einen Sieg gegen den Tabellenvorletzten Konyaspor und eine Niederlage des Verfolgers gegen Denizlispor (14.). Doch selbst wenn es dazu nicht kommen sollte, stehen die Chancen auf die erste Meisterschaft mehr als gut.
Schon in den vergangenen drei Jahren stand Basaksehir lange an der Tabellenspitze, ehe sie doch noch von den arrivierten Istanbuler Klubs abgefangen wurden. In diesem Jahr liefen Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas der Musik jedoch bedeutend früher und weitaus deutlicher hinterher. Seit dem dritten Spieltag hießen die Tabellenführer Alanyaspor, Sivasspor, Trabzonspor und eben Basaksehir.
Die Besonderheit dieser Konstellation wird beim Blick auf die Süper-Lig-Sieger seit 1984/85 deutlich: Mit Ausnahme der Sensations-Meisterschaft von Bursaspor 2010 gingen 34 der letzten 35 Titel an die drei Top-Klubs aus Istanbul. Dass in diesem Jahr der zweite Ausrutscher folgt, liegt laut Gökhan Yagmur, Area Manager Türkei, vor allem an finanziellen Problemen: „Alle drei Klubs haben enorme Schulden und können aufgrund des UEFA Financial Fairplays nicht mehr so stark ins Minus gehen, wie früher.“
Da internationalen Stars das hohe Gehalt nicht mehr gezahlt werden kann, wie unter anderem das Beispiel Max Kruse zeigt, hängen die Klubs hinterher – zu wenig Wert wurde in den vergangenen Jahren auf Nachhaltigkeit gelegt. „Gescoutet wird immer noch sehr wenig und auch in die Jugendabteilungen wurde kaum investiert. Andere Klubs in der Türkei haben ihre Ausrichtung früher geändert – und profitieren nun vom Einbruch der großen drei Istanbuler Vereine“, so Yagmur.
Einer dieser Profiteure ist Basaksehir, wenngleich der Klub mit einem Durchschnittsalter von 29,3 Jahren den zweitältesten Kader der Liga stellt und ebenfalls nicht zwingend für seine Jugendarbeit bekannt ist. Seit Jahren wir dort aber – auch mithilfe finanzieller Unterstützung regierungsnaher Unternehmen wie der Krankenhauskette Medipol – weitaus kontinuierlicher gearbeitet. Hauptprotagonist ist für Yagmur auch in diesem Jahr wieder Rechtsaußen Edin Visca (30), „der seit vier Saisons konstant gute Leistungen bringt und immer vorweg marschiert. Zudem war Torhüter Mert Günok und die mit 27 Gegentoren beste Abwehr der Liga ausschlaggebend.“
Ex-Bundesliga-Profi Cissé erlebt 3. Frühling – Podolski mit Vorbildfunktion
Mit Eljero Elia (33), Berkay Özcan (22), Júnior Caiçara (31) und Demba Ba (35) gehören auch einige ehemalige Bundesliga-Profis dem Kader an, allesamt kamen 2019/20 auf mindestens 25 Einsätze. Ähnlich erfolgreich lief die Saison auch für einen weiteren in Deutschland bestens bekannten Spieler: Papiss Demba Cissé. Der 35-jährige Ex-Freiburger spielt mit Alanyaspor zwar nicht um den Titel, kämpft aber neben der Europa League noch um die Torjägerkrone. Mit 22 Treffern liegt der Senegalese knapp vor dem Norweger Alexander Sörloth von Trabzonspor, der bislang 21-mal erfolgreich war (zur gesamten Torschützenliste). Gerüchten zufolge soll er bei Galatasaray auf dem Zettel stehen.
Dort wäre Cissé nach Falcao, Mbaye Diagne, Bafétimbi Gomis, Eren Derdiyok und Lukas Podolski die nächste prominente Mittelstürmer-Verpflichtung der vergangenen Jahre. Letzterer feierte nach drei Jahren in Japan zuletzt sein Türkei-Comeback bei Antalyaspor und wird an der Südküste auch dank seiner fünf Torbeteiligungen in elf Spielen schon jetzt verehrt. „Podolski hat eine absolute Vorbildsfunktion inne. Er wird in der gesamten Türkei extrem geschätzt – nicht nur bei Galatasaray- und Antalyaspor-Anhängern“, so Yagmur.
Während es für Podolski, dessen Saison wegen eines Oberschenkelmuskelrisses bereits beendet ist, um nichts mehr geht, dürfte der Puls bei vielen Basaksehir-Fans umso höher schlagen, wenn der Ball am Montagabend rollt. Als insgesamt sechster Klub der Süper-Lig-Historie könnte sich der Verein zum Meister krönen und eine Saison beschließen, die nicht nur aufgrund der Corona-Unterbrechung bei vielen Fans in Erinnerung bleiben wird.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.transfermarkt.de
Autor: Lennart Gens