Die verbleibenden sechs Wochen werden hart für die Fenerbahce-Anhänger. Womöglich noch härter als die vergangene Saison und noch härter als die bisherige. Während Ali Koc in seinem ersten Amtsjahr versucht hat, den Verein inklusive Profikader komplett umzuwälzen, hatte der Nachfolger von Aziz Yildirim eine Schonfrist verdient. Schließlich musste sich Koc im Haifischbecken Süper Lig zurechtfinden, seine Fairplay-Attitude ablegen und gemeinsam mit den Haien schwimmen.
Finanziell haben Koc und sein Vorstand eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Beschränkungen von der UEFA, Pfändungen und kaum Einnahmen haben dafür gesorgt, dass die Gelb-Marineblauen keinen finanziellen Spielraum haben – in keinerlei Hinsicht. Dennoch hat es der Vorstand geschafft, die Schulden zu senken und eine Europapokalsperre vorerst zu umgehen. Oberflächlich betrachtet ist das allerdings auch der einzige Pluspunkt, den Koc in zwei Jahren sammeln konnte.
Die sportliche Situation in Kadiköy hat sich inzwischen zu einem Desaster entwickelt. Im Hintergrund werden gefühlt jeden Tag Vereinsmitarbeiter entlassen und neue eingestellt. Parallel dazu spielen die Profis der ersten Mannschaft eine ganz kuriose Saison. Bis zum 2:0-Heimsieg in der Rückrunde gegen Basaksehir galt Fenerbahce als der größte Titelfavorit, insbesondere nachdem man den heutigen Tabellenführer an die Wand gespielt hatte. Doch inzwischen ist Fenerbahce, ähnlich wie letztes Jahr, zu einer grauen Maus verkommen.
Eine nicht durchdachte Kaderplanung mit einer zweitklassigen Abwehr, viel Pech mit den Schiedsrichtern und zahlreiche Nebenkriegsschauplätze haben schnell dafür gesorgt, dass sich die „Kanarienvögel“ vom Titelkampf verabschiedet haben. Als es sportlich abwärts ging, wurden immer wieder die Schiedsrichter angegriffen. Als man nach der Corona-Pause neuen Mut schöpfe, wurde das total unnötige Verbalduell mit TFF-Boss Nihat Özdemir gesucht. Große strategische Fehler, die einen versöhnlichen Saisonabschluss wohl oder übel verhindern werden.
Denn sportlich wäre eigentlich noch einiges möglich. Die Konkurrenten, die in der Tabelle über Fenerbahce platziert sind, verlieren regelmäßig Punkte. Hätte Fenerbahce gegen Kasimpasa gewonnen, wäre der Rückstand auf Platz vier und die UEFA Europa League auf mickrige fünf Punkte geschmolzen. Stattdessen posaunt man in der Öffentlichkeit herum, dass man sich bereits auf die neue Saison vorbereite – Missmanagement at its best!
Statt die Mannschaft vernünftig auf den Saisonendspurt vorzubereiten, geht diese ohne einen Boss an der Seitenlinie in die letzten Spiele. Wer ist denn nun Cheftrainer bei Fenerbahce? Wer trifft die ersten und letzten Entscheidungen? Wer erarbeitet den Matchplan? Wird Emre Belözoglu nun der Sportdirektor oder nicht? Wer baut die Mannschaft für das kommende Jahr auf? Antworten, auf die die Fenerbahce-Anhänger seit Wochen warten.
Der Vorstand beschäftigt sich stattdessen lieber mit Nihat Özdemir und der Frage: Wer wurde denn nun Meister 2010/11? Doch mittlerweile ist klar: Die Antwort darauf ist für die Fenerbahce-Fans nur noch zweitrangig. Wird sportlich nicht mehr gut gearbeitet, hat ein Titel vor zehn Jahren, verbunden mit einer FETÖ-Verschwörung, keine Bedeutung mehr. Die Fans möchten nicht mehr in der Vergangenheit leben, sondern sich auf die Zukunft freuen. Und diese könnte im schlechtesten Fall schon bald ohne Ali Koc ablaufen. Hierfür muss Koc seine Strategie nicht mal ändern – sondern einfach nur so weitermachen.