Torhüter Loris Karius hat mit fast 27 Jahren schon einiges erlebt. Beim FC Liverpool steht er noch bis 2022 unter Vertrag. Der Keeper verrät im großen Transfermarkt-Interview, was er von einem neuen Angriff auf den Platz zwischen den Reds-Pfosten oder einem Wechsel zu einem anderen Klub hält. Zudem redet er über seinen Transfer als Teenager zu Manchester City und seine Anfänge in der Bundesliga, attraktive Angebote während seiner Karriere, überzogene Kritik und seine Ziele für die nahe und ferne Zukunft.
Transfermarkt: Herr Karius, Sie kehren – Stand jetzt – als Herausforderer von Alisson zum FC Liverpool zurück. Würden Sie die Reds nur verlassen, wenn Sie als klare Nummer eins bei einem neuen Verein gesetzt wären?
Karius: Natürlich muss ich spielen, wenn ich tatsächlich den Verein wechseln sollte. Es macht keinen Sinn zu sagen: Ich verlasse Liverpool für einen schlechteren Verein, und dort bin ich dann auch nur die Nummer zwei. Aber ich befinde mich überhaupt nicht in einer Drucksituation, muss nicht wechseln.
Transfermarkt: Wie meinen Sie das genau?
Karius: Ich kann bei Liverpool im Training Gas geben. Als zweiter Torwart in England weiß man, dass man seine Einsätze bekommt. Ich bin beim momentan besten Verein der Welt, spiele um Titel mit, habe jeden Tag im Training das höchste Niveau um mich herum. Ich bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass ich mich in einer guten Situation befinde, in Liverpool zu sein. Dort habe ich super Voraussetzungen.
Transfermarkt: Sie haben zwei intensive Jahre bei Ihrer Leihstation Besiktas Istanbul erlebt. Was bleibt aus dieser Zeit besonders hängen?
Karius: Ich habe sowohl positive als auch negative Erfahrungen gemacht. Sportlich betrachtet war die Zeit vollkommen in Ordnung, ich habe jedes Spiel gemacht bis auf wenige Ausnahmen, als ich verletzt war. Wir waren in der Europa League dabei und haben um die Meisterschaft mitgespielt, auch wenn es im ersten Jahr knapp nicht gereicht hat.
Transfermarkt: Anfang Mai haben Sie Ihren Vertrag bei Besiktas dann gekündigt. Von ausstehenden Gehaltszahlungen war die Rede.
Karius: Sicherlich gab es auch Probleme, die mit dem Sportlichen nicht direkt etwas zu tun hatten. Das hätte so nicht stattfinden dürfen. Zwischen Spieler und Verein sollte ein gewisses Vertrauensverhältnis bestehen. Wenn das nicht mehr gegeben ist, ist es schwer, sich wohlzufühlen. Aber ansonsten kann ich nur sagen, dass es mit den Fans und den Mitspielern in diesem Stadion großen Spaß gemacht hat.
Transfermarkt: Lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen. Sie sind im Alter von 16 Jahren aus der Jugendabteilung des VfB Stuttgart zu Manchester City gewechselt. Wie kam der Transfer damals genau zustande?
Karius: Ich spielte damals in der U16-Nationalmannschaft, und es waren viele Scouts bei den Spielen vertreten. Mit 16 konnte man seinen ersten Profivertrag unterschreiben. Ich hatte damals Angebote von allen möglichen Klubs, aber Manchester City hat sich sehr um mich bemüht. Sie haben mir einen konkreten Plan aufgezeigt, z. B. dazu, wie ich es zu den Profis schaffen kann. Das hat mich fasziniert. Ich konnte mir aber genauso gut vorstellen, in Stuttgart zu bleiben – das Konzept und der Plan mit mir haben mich aber nicht so überzeugt wie der von ManCity. Deshalb sagte ich mir: Ich wage die Herausforderung und gehe nach England.
Transfermarkt: Wer war denn neben den „Citizens“ noch an Ihnen interessiert?
Karius: Gefühlt die Hälfte der Premier League. In Deutschland habe ich mich eigentlich nur mit Stuttgart beschäftigt, weil der VfB bekannt dafür war und ist, eine super Jugendarbeit zu leisten. Ich habe dort eine tolle Ausbildung genossen. Ich habe mir damals nur die Pläne von Man City und vom VfB angehört. Zu der Zeit ging es mit dem Einstieg der Investoren erst so richtig los. Man City war eigentlich ein Verein, der stark auf den eigenen Nachwuchs gesetzt hat. Viele haben den Durchbruch geschafft, die Akademie stand gut da – deshalb habe ich mich am Ende für diesen Klub entschieden.
Transfermarkt: Sind Sie damals allein auf weiter Flur dorthin gewechselt oder hatten Sie Begleiter dabei?
Karius: Nils Zander aus der Schalker Jugend war im gleichen Alter wie ich und ebenfalls in der U16-Nationalmannschaft. Wir sind dann zusammen zu Man City gegangen und anfangs bei einer Gastfamilie untergekommen.
Transfermarkt: An welchem sportlichen Vorbild haben Sie sich orientiert?
Karius: Als er noch aktiv und ich jung war, war das ganz klar Oliver Kahn. Er war eine Zeit lang der mit Abstand beste Torwart der Welt. Als ich in den Profibereich gelangt bin, gab es nicht mehr das eindeutige Vorbild. Da war es eher so, dass ich auf alle Toptorhüter geschaut habe. Was machen sie besonders gut? Was kann man sich bei dem einen oder anderen abschauen?
Transfermarkt: England gilt nicht unbedingt als Torhüternation. Was haben Sie auf der Insel in jungen Jahren gelernt, was Ihnen noch heute sehr behilflich ist?
Karius: Früher war das vielleicht einmal so, das kann man nicht mehr auf die aktuelle Zeit beziehen. Heute spielt in der Premier League ein Toptorhüter nach dem anderen. Als ich kam, war Joe Hart die Nummer eins bei Man City. Von ihm konnte ich als junger Kerl im Training jeden Tag richtig viel lernen. Ich durfte bei den Profis mittrainieren. Joe war ein Supertyp und jemand, von dem man sagte: Endlich hat England mal wieder einen richtig guten Torhüter. Natürlich stehen heute in der Premier League auch viele ausländische Keeper im Tor, aber im Vergleich zur Bundesliga kann ich da keinen großen Unterschied ausmachen.
Transfermarkt: 2011 ging es für Sie zurück nach Deutschland zu Mainz 05, wo Sie 2013 mit 20 Jahren zum Stammkeeper aufgestiegen sind und zu einem der gefragtesten deutschen Torhüter wurden. Wie bewerten Sie Ihre Zeit bei den 05ern?
Karius: Die ersten anderthalb Jahre war ich ein bisschen ungeduldig, es ging mir nicht schnell genug. Ich dachte, ich komme von Man City zurück und kann vielleicht so schnell wie möglich in der Bundesliga Fuß fassen. Ich war mit 18 aber noch jung, es war ein Auf und Ab. Als ich dann eines Tages die Chance bekam, konnte ich sie nutzen. Dann ging es stetig und rasant mit meiner Entwicklung voran. Wenn ich die drei Spielzeiten bei Mainz jetzt analysiere, war es eine rundum tolle Zeit. Im Nachhinein war es die beste Entscheidung, nach Mainz zu gehen und dort die ersten Profischritte zu machen.
Transfermarkt: Im Januar 2015 haben Sie noch einmal bei den 05ern verlängert. Zu jener Zeit wurden Sie mit Benfica Lissabon, Borussia Dortmund und dem HSV in Verbindung gebracht. Was war zu dieser Zeit wirklich dran an den Gerüchten?
Karius: Ich hatte ein paar unterschriftsreife Verträge aus der Bundesliga und dem Ausland vorliegen, aber wir haben uns Anfang Januar entschieden in Mainz zu verlängern, weil es für mich persönlich einen Tick zu früh war, den nächsten Schritt zu gehen. Ich wusste, was ich an Mainz habe und wie ich mich dort noch weiterentwickeln kann. Deswegen fiel die Entscheidung, dass es besser ist, diesen Weg noch weiterzugehen und nicht zu wechseln.
Transfermarkt: Waren die gehandelten Vereine denn richtig?
Karius: Ja, von denjenigen, die eben genannt wurden, waren welche dabei.
Transfermarkt: Mit 22 Jahren folgte der Wechsel in die Premier League zum großen FC Liverpool. Jürgen Klopp ist für seine emotionalen Ansprachen bekannt. Wie hat er Sie konkret von einem Transfer zu den Reds überzeugt?
Karius: Ich wusste schon ein bisschen länger vom Interesse. „Kloppo“ hat mich angerufen, wir haben dann etwas länger gesprochen und er hat mir die ganzen Pläne erklärt. Was er vorhat und wie es sich in Liverpool unabhängig vom Fußball lebt, wie sein Leben dort ist. Es ging nicht nur um Fußball. Das Gespräch war sehr angenehm. Ich habe ein richtig gutes Gefühl bekommen. Liverpool und eine Rückkehr in die Premier League – das war eh schon immer ein kleiner Traum. Ich wollte als Profi dort Fuß fassen. In Kombination mit Liverpool und Jürgen Klopp als Trainer war es für mich das perfekte Gesamtpaket.
Transfermarkt: Gegen welche anderen Mitbewerber haben die Reds damals das Rennen gemacht?
Karius: Zunächst einmal fiel es mir überhaupt nicht leicht Mainz zu verlassen, weil wir eine überragende Saison gespielt und uns für den Europapokal qualifiziert haben. Ich hätte also auch dort meine erste internationale Saison spielen können. Deshalb war es für mich auch eine Option, zu bleiben. Wir haben uns gesagt: Wir beschäftigen uns nur mit etwas, das sensationell gut ist. Es hätte für mich keinen Sinn gehabt, einen Wechsel zu vollziehen, der mich nicht groß voranbringt. Es sollte ein Spitzenklub sein – und der wurde es letztendlich auch. Für mich waren Mainz und Liverpool die ersten beiden Optionen.
Transfermarkt: Sie haben die deutsche Bundesliga, englische Premier League und türkische Süper Lig kennengelernt. Welche Liga kommt Ihnen für Ihr Torhüterspiel am ehesten gelegen?
Karius: In England genießt man als Torhüter etwas weniger Schutz und wird härter angegangen, damit muss man sich zurechtfinden. Aber wenn man sich erst einmal akklimatisiert hat, wirft einen das nicht mehr aus der Bahn. Man weiß, was jede Woche auf einen zukommt. Es ist zwar etwas schwieriger, aber in England ist es gang und gäbe. Ansonsten gibt es zwischen den Ligen keinen großen Unterschied, was die Arbeit auf dem Platz anbelangt.
Transfermarkt: Welche Liga würde Sie künftig noch reizen?
Karius: In allererster Linie muss mich der Verein reizen. Grundsätzlich ist Deutschland für mich reizvoll. Das ist mein Heimatland und ich war lange nicht dort. Auch England ist super. Zu Italien und Spanien kann ich nicht viel sagen, da fehlen mir die Erfahrungen. Aber ich muss jetzt nicht direkt das nächste Abenteuer suchen. Vielleicht ist es am Ende meiner Karriere eine Option, etwas ganz Exotisches zu wagen. Aber ich bin erst 26 und will erstmal in den Topligen Gas geben.
Transfermarkt: Welche Ziele wollen Sie in Ihrer Karriere unbedingt erreichen?
Karius: Ich will gesund bleiben und so lange wie möglich auf hohem Niveau spielen. Natürlich will ich als Fußballer noch den einen oder anderen Titel gewinnen. Ich möchte die bestmögliche Leistung aus mir herausholen. So ist es auch bei Liverpool, wo ich der Herausforderer bin. Wenn ich gefragt bin, bin ich da und bringe meine Leistung und helfe damit der Mannschaft. Egal ob als Nr. 1 oder Nr. 2: Ich werde immer mein Bestes geben.
Transfermarkt: Sie haben 175 Ligaspiele in Deutschland, England und der Türkei in Ihrer Vita stehen, kommen ins beste Torwartalter. Fühlten Sie sich bei der Bewertung Ihrer Leistungen manchmal zu kritisch beurteilt?
Karius: Natürlich. Wenn man den Vergleich zu anderen Torhütern zieht, denen mal eine Unsicherheit widerfährt – danach kräht kein Hahn. Bei mir wird eine Riesensache draus gemacht, warum auch immer. Es ist manchmal extrem, wie unterschiedlich Dinge ausgelegt werden. Irgendwie haben manche Leute seit dem Champions-League-Finale ihren Gefallen daran gefunden. Manche haben immer noch nicht verstanden oder wollen es nicht wahrhaben, dass dies aufgrund einer Kopfverletzung passiert ist und schmälern meine Leistungen bzw. machen sich darüber lustig. Dafür fehlt mir jedes Verständnis.
Transfermarkt: Perlt so etwas mittlerweile an Ihnen ab?
Karius: Am Anfang war es ungewohnt und hat mich durchaus beschäftigt und belastet, aber mittlerweile ist es mir völlig egal. Mit der Zeit entwickelt man eine gewisse Gelassenheit.
Transfermarkt: Welcher Mitspieler hat Sie in Ihrer Karriere bisher am meisten beeindruckt?
Karius: Bei Liverpool im Training hatten wir eine unfassbar hohe Qualität, wo wirklich jeder 100 Prozent aus den anderen herausgeholt hat. Insbesondere in der Saison, als wir in der Champions League bis ins Finale gekommen sind, war Mo Salah der Spieler, der total herausgestochen ist. In diesem Jahr ist ihm fast alles gelungen, gefühlt ging bei ihm jeder Ball rein. Er war schon unglaublich. Bei ihm dachte ich: Wow! Es ist Wahnsinn, was er Woche für Woche abliefert.
Transfermarkt: Wer ist für Sie momentan der beste Torhüter der Welt?
Karius: Schwer zu sagen. Im Moment gibt es wohl nicht den einen überragenden Torwart, der über allen anderen steht wie vielleicht vor ein paar Jahren mit Manuel Neuer. Aktuell ist es ein Kreis aus Torhütern auf hohem Niveau, die sich alle nicht viel nehmen. Neuer hat sich extrem stabilisiert, bringt super Leistungen. Marc-André ter Stegen liefert tolle Leistungen in Barcelona. Dazu kommt ein Jan Oblak bei Atlético Madrid. Alisson hat im letzten Jahr super gehalten und den höchsten Titel gewonnen. Es ist schwer, sich auf einen Kandidaten festzulegen.
Transfermarkt: Der Profifußball wurde zuletzt scharf kritisiert, weil viele in der Coronakrise eine Sonderstellung sahen. Gibt es Entwicklungen, die Sie selbst kritisch beäugen?
Karius: Wenn man bedenkt, was für Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden, haben sich die Verantwortlichen viele Gedanken gemacht, ob gespielt werden kann oder nicht. Vor allem in der Bundesliga sieht man, dass es funktioniert. Es bereitet vielen Leuten Freude, dass die Spiele wieder im Fernsehen zu sehen sind – wenn auch leider ohne Zuschauer. Es gibt viele Menschen, die ihren Job mit gewissen Einschränkungen auch wieder ausüben dürfen. Da besitzt der Fußball kein Alleinstellungsmerkmal. Dass alle anderen nicht arbeiten dürfen, ist so nicht richtig. Wenn man sieht, was für Menschenmassen an anderer Stelle aneinander kleben, ohne Abstände einzuhalten… Da muss man sich im Fußball am wenigsten Sorgen machen, was die Hygiene und Ordnung anbelangt. Es wird für alles gesorgt.
Interview: Philipp Marquardt (PhilippMrq)
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.transfermarkt.de
Autor: Philipp Marquardt (PhilippMrq)