Vor zwei Jahren trat Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft zurück, nachdem er wegen eines gemeinsamen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zum Ziel rassistischer Anfeindungen geworden war. Özil kritisierte den Deutschen Fußball-Bund (DFB), er habe ihn in dem Zusammenhang nicht in Schutz genommen und allein gelassen. Der Fall Özil führte in der deutschen Öffentlichkeit zu scharfen Diskussionen, polarisierte gar Deutsche und Türken.
Nachdem der DFB lange geschwiegen hatte, räumte sein Generalsekretär Friedrich Curtius im Interview mit „Hürriyet“ ein, dass der Verband Özil alleingelassen und Fehler gemacht habe. Vor dem Testspiel Deutschland gegen die Türkei am 7. Oktober in Köln sprach „Hürriyet“-Redakteur Celal Özcan mit Curtius.
Özcan: Die deutsche Nationalmannschaft empfängt am 7. Oktober die Türkei. Was erwarten Sie von diesem Länderspiel zwischen der Türkei und Deutschland in Köln?
Curtius: Erst mal freue ich mich ganz besonders, dass es zu diesem Klassiker des Fußballs kommt. Deutschland und die Türkei, das sind zwei Länder, die eng miteinander verbunden sind – beide total fußballverrückt. Die türkischstämmigen Spieler in Deutschland bereichern unseren Fußball sportlich wie auch menschlich. Deshalb ist es wunderbar, dass es zu diesem Spiel kommt. Es ist natürlich ein sehr besonderes Spiel in Zeiten von Corona. Wir hoffen und wünschen sehr, dass wir mit Zuschauern im Stadion spielen können. Hoffentlich dürfen viele Deutsche, viele Türken das Spiel im Stadion verfolgen und gemeinsam ein tolles Spiel feiern. Aber selbst wenn die Zahlen unten bleiben, werden nur ein paar tausend Zuschauer ins Stadion kommen können. Normalerweise wäre das Spiel immer ausverkauft, in Corona-Zeiten ist das nicht möglich.
Wird das Spiel also ohne oder mit Zuschauern stattfinden?
Wir gehen fest davon aus, dass es vor Zuschauern ausgetragen wird. Aber angesichts der Grenzwerte, die das lokale Infektionsgeschehen vorgibt, kann es natürlich sein, dass wir noch eine dynamische Entwicklung erleben, und das zuständige Gesundheitsamt uns erklärt, ohne Zuschauer zu spielen. Eines ist klar: die Gesundheit der Fans hat die höchste Priorität.
Warum gerade mit der Türkei? Hat es einen besonderen Grund, dass sich Deutschland vor dem UEFA Nations League Spiel gegen die Ukraine ein Duell mit der Türkei liefert?
Die Türkei ist immer ein sehr attraktiver Testspielgegner für Deutschland. Einfach aufgrund der Geschichte der beiden Länder, der engen Bindung, auch durch die vielen Menschen, die bei uns leben und arbeiten. Die Türkei hat eine sehr gute Mannschaft, die auch immer ein attraktiver Testspielgegner ist. Es war der ausdrückliche Wunsch unseres Bundestrainers, die Türkei anzufragen. Jogi Löw hat, wie man ja weiß, eine ganz besondere persönliche Beziehung zur Türkei. Er liebt das Land und die Menschen. Wir wollen nächste Woche in Köln ein sehr guter Gastgeber sein.
Von wem kam die Anfrage?
Wir haben beim türkischen Verband angefragt.
Heute wird zumeist vor leeren Rängen gespielt. Was macht es für die Spieler für einen Unterschied, ob sie ohne oder mit Zuschauern spielen?
Es macht einen gewaltigen Unterschied. Fußball lebt von den Fans. Er lebt von den Emotionen. Er lebt von den Momenten im Stadion, in denen der Funke vom Spielfeld auf die Zuschauer überspringt – und umgekehrt. Wenn keine Zuschauer dabei sind, dann fehlt etwas ganz Entscheidendes. Für die Spieler ist es nicht so leicht, diese Spiele zu absolvieren. In einem stillen, leeren Stadion. Ein Fußballspiel ist immer ein Treffen der ganzen Fußballfamilie. Auf dem Platz und auf den Tribünen. Und derzeit fehlt ein großer Teil der Familie.
Die türkischen Fußballvereine in Amateurligen in Deutschland beschweren sich über rassistisches Verhalten in den Stadien. Wie geht der DFB gegen solche Beschwerden vor?
Rassismus hat im Fußball nichts, aber auch gar nichts zu suchen. Es gibt die Dreistufenregelung. Sobald rassistisches Verhalten in einem Stadion festzustellen ist, muss der Schiedsrichter das Spiel sofort unterbrechen. Bei weiteren Vorfällen kann dies bis zum Abbruch des Spiels führen. Es ist unsere unbedingte Überzeugung, dass wir dem Rassismus ganz entschieden den Kampf ansagen. Das geht von der Kreisliga bis hin zur Nationalmannschaft. Im Fußball gibt es keinen Platz für Rassismus. Der DFB steht für diese Überzeugung ein, auf jedem Platz in Deutschland. Denn Fußball ist der Integrationsmotor, der unsere Gesellschaft besser macht.
Vor zwei Jahren trat der ehemalige Nationalspieler und Weltmeister Mesut Özil aus dem DFB-Team zurück. Man machte ihn zum Feindbild, auch zum Angriffsziel für rassistische Äußerungen und Attacken wegen eines gemeinsamen Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Was würden Sie im Nachhinein über diese Geschichte sagen?
Erst einmal will ich sagen, dass ich Mesut Özil fußballerisch sehr verehre. Er ist ein außergewöhnlich begabter Fußballspieler. Einer, der eine ganz besondere Geschichte in unserer Nationalmannschaft geschrieben hat. Ich habe ihn immer besonders gerne im deutschen Trikot gesehen. Weltmeister 2014, das wird immer mit Mesut Özil verbunden sein. Ich bedauere sehr, wie die Umstände rund um das Foto unmittelbar vor der WM 2018 gewesen sind. Für mich steht fest: Der DFB hat hier Fehler gemacht. Wir haben uns viel zu spät vor unseren Spieler gestellt. Und haben gerade dann, als zumindest in einigen Teilen der Bevölkerung Unverständnis in Hass und Rassismus umschlug, Mesut nicht das Gefühl gegeben: Wir stehen hinter dir, komme, was da wolle, wir sind an deiner Seite. Das war ein Fehler, den ich aus heutiger Sicht sehr bedauere. Wir haben uns zu einem späteren Zeitpunkt in dieser Richtung klar und deutlich geäußert. Aber da war es leider schon zu spät. Die Diskussion war so weit fortgeschritten, dass wir da nicht mehr durchgedrungen sind. Wir sind in diesem Fall zurecht kritisiert worden und haben daraus gelernt.
Haben Sie den Eindruck, dass nach dem Fall Mesut Özil, die türkischstämmigen Fußballspieler sich schwer tun, sich für die deutsche Mannschaft zu entscheiden?
Ich hoffe es nicht. Ich hoffe, dass wir durch glaubwürdiges und aufrechtes Handeln als Verband die jungen Spieler im Land, auch die, deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind, erreichen und immer eine Heimat für sie sind. Wichtig ist, dass sie sich mit einer Entscheidung für die deutsche Nationalmannschaft auch zu unseren Werten bekennen.
Haben Sie mit ihm Kontakt gesucht?
Ich habe mit Mesut Özil in dieser Zeit persönlich gesprochen. Leider haben wir als Verband ihn nicht richtig erreichen können. Er war deutscher Nationalspieler aus Gelsenkirchen mit türkischen Wurzeln. Er hat mir seine persönliche Sicht geschildert. Das fand ich in seiner Darstellung authentisch und es hat mir sehr geholfen, Mesut in seiner persönlichen Situation besser zu verstehen.
War er enttäuscht?
Er war sehr enttäuscht. Er hat überhaupt nicht verstanden (neben der Frage, wie sich der DFB verhalten hat), dass einige Menschen, mit denen er lange zusammengearbeitet hat, sich von ihm abgewendet haben. Da habe ich schon eine große Enttäuschung und Verunsicherung bei ihm gespürt.
Gibt es mit Mesut Özil noch Kontakt oder ist der Kontakt ganz abgebrochen?
Ich glaube, dass er mit Kollegen aus der Nationalmannschaft noch in Kontakt steht. Auch mit Oliver Bierhoff besteht noch ein wenig Kontakt.
Wird der DFB irgendwann versuchen, sich mit ihm zu versöhnen?
Ich würde mich sehr freuen, wenn man mit etwas Abstand aufeinander zugehen könnte, und dann Missverständnisse ausräumen kann. Das fände ich ein starkes Zeichen. Uns verbinden ja auch sehr gute und erfolgreiche Zeiten.
Hinweis: Das Interview mit Friedrich Curtius führte Celal Özcan von Hürriyet.de
Link zum Originalartikel: https://www.hurriyet.de/news_dfb-generalsekretaer-im-umgang-mit-oezil-haben-wir-fehler-gemacht-108649_143541056.html
4 Kommentare
Wieso erwartet ihr etwas Kontroverses?
Mir wäre viel lieber, wenn man sich tatsächlich als das sieht wie es im Text geschildert wird. Versteht mich nicht falsch, aber ich weiß genau was ihr meint. Sobald ein Deutscher fragt, wie dein Name richtig ausgesprochen wird, dann meistens nicht um es wirklich zu können, sondern um allen anderen Menschen zu verdeutlichen, dass du ein Ausländer bist. Mir geht auch dieses Scheinheilige auf den Keks. Angebliche Integrationsförderung. Aber die konservative Bewegung sagt was anderes. Es gibt mehr Afd-Wähler als Türken in Deutschland. Vor Black lifes matter gab es einen Amok auf 12 Ausländer in Hanau, aber da hat keiner Solidarität gezeigt. Kein Wunder. Es ist ja vor der Haustür. George Floyd in den USA ist gerade so weit entfernt, dass es in die Scheinwelt passt.
Unter anderem das. Aber auch wir Türken haben eine Menge Fehler gemacht. Beide Seiten sich schuldig meiner Meinung nach.
Das was der Özil gemacht hat finde ich auch falsch. Nur jetzt gegen Özil zu hetzen, weil es damals in der Nationalmannschaft nicht lief, war auch falsch. Dadurch hat man die ganzen Deutsch-Türken verärgert. Der Erdo provoziert, hier in Deutschland wird gegen die Türkei geschossen und somit wurden die Deutsch-Türken wieder verärgert. Die Deutschen werden dann sofort als Nazis betitelt und siehe da, wir diskutieren jetzt darüber… Ein ewiges hin und her. Naja, dass kommt einem natürlich zu gute…
Kann gar nicht darauf warten, dass etwas kontroverses passiert
Ganz bestimmt ^^ Bin mal gespannt. Aber von beiden Seiten.