Nach einer kurzen Auszeit heuerte Kenan Kocak im Herbst als Assistenztrainer bei der türkischen Nationalmannschaft an – an der Seite von Stefan Kuntz. Im Transfermarkt-Interview spricht der 41-Jährige über sein Engagement im zweiten Anlauf, seine Ambitionen, seinen Umgang mit Angeboten, das vorzeitige Aus bei Hannover 96, Martin Kind sowie seine früheren Weggefährten Julian Nagelsmann und „Gentleman“ Domenico Tedesco.
Transfermarkt: Herr Kocak, Sie haben sich in Ihrer Karriere schon als Teammanager, Sportlicher Leiter, Cheftrainer und nun Assistenztrainer ausprobiert. Welche Aufgabe bereitet Ihnen am meisten Freude, was passt am besten zu Ihnen?
Kenan Kocak: Hauptamtlich war ich bisher immer Cheftrainer. Das ist meine Welt, das ist mein Job. Die anderen Tätigkeiten waren ganz früher eher unterstützend im Verein. Ich bin jetzt das erste Mal Co-Trainer. Und es ist etwas Besonderes, das für die A-Nationalmannschaft der Türkei sein zu dürfen, weil es mein Heimatland ist.
Transfermarkt: Gemeinsam mit dem ehemaligen Mainzer Jan-Moritz Lichte assistieren Sie Stefan Kuntz. Wie ist die genaue Aufgabenverteilung?
Kocak: Stefan ist ein sehr kommunikativer Cheftrainer und sehr offen. Das war für mich ein elementarer Faktor. Es macht Riesenspaß mit ihm. Ich habe mich vorher ein bisschen informiert, um zu erfahren, wie er als Trainer ist, wie es mit ihm bei der U21 beim DFB war. Es war für mich dann sehr wichtig zu wissen, dass er mich als Trainer in seinem Team haben will – und nicht als Hütchenaufsteller. Aber es gibt nicht nur uns drei – Stefan, Jan-Moritz und mich –, sondern auch Michael Rechner als Torwarttrainer und Axel Busenkell als Athletikcoach. Zudem haben wir einen Dolmetscher dabei, der für Stefan übersetzt. Wir haben ein gutes Team beisammen, daher wäre es unfair, nur uns drei zu nennen.
Transfermarkt: Wie kamen Ihr Engagement in der Türkei und der Kontakt zu Kuntz überhaupt zustande?
Kocak: Uns verbindet eine lange Geschichte. Ich war damals als Spieler in Mannheim und Stefan mein erster Profitrainer in der 2. Bundesliga. Der Kontakt zu ihm ist in all den Jahren nie abgerissen. Wir hatten nicht immer einen engen Draht, aber immer mal wieder Kontakt zueinander. Natürlich hat man gegenseitig den Werdegang des anderen verfolgt. Zuletzt hatten wir miteinander zu tun, als ich in Sandhausen und Hannover war, da ging es um Spieler für die deutsche U21.
Kocak sagte „Ja“ zur Türkei: Altintop und Kuntz leisteten Überzeugungsarbeit
Transfermarkt: Und der türkische Verband hatte Sie ohnehin schon auf dem Schirm.
Kocak: Ich hatte immer mal wieder Anfragen aus der Türkei, auch für die Nationalmannschaft. Aber zum Zeitpunkt dieser Angebote war das für mich kein Thema. Als Hamit Altintop Sportvorstand wurde, war das für mich ein Zeichen. Ich konnte es mir nun vorstellen, es reizte mich, die internationale Seite auf Nationalmannschaftsebene zu erleben. Ich möchte mich weiterentwickeln und dazulernen. Das Gesamtkonzept und -produkt sahen so aus, dass ich mir sagte: Ich probiere diesen Weg!
Transfermarkt: Nur wenige Wochen vor Ihrem Türkei-Engagement waren Sie als Assistent des stark in die Kritik geratenen Nationaltrainers Senol Günes, Kuntz‘ Vorgänger, im Gespräch. Sie sagten aber ab mit dem Verweis: „Ich brauche die tägliche Arbeit auf dem Platz.“ Was hat bei Ihnen zum schnellen Umdenken geführt?
Kocak: Die Gespräche mit Senol Günes waren ebenfalls okay, ich bin dankbar dafür, dass er mich wollte. Allerdings war Hamit Altintop zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Verantwortung. Ich habe gemerkt, dass damals vieles infrage gestellt wurde und unsicher war. Das war jetzt anders. Hamit und Stefan haben mich dazu bewegt. Sie haben sich wirklich sehr intensiv bemüht und zeigten, dass sie mich unbedingt wollten. Deshalb hat in meinem Kopf ein Umdenken stattgefunden.
Transfermarkt: Wo leben Sie nun? Reisen Sie zu den Trainingseinheiten und Länderspielen extra an?
Kocak: Wir teilen uns im Trainerteam auf und sprechen alles ab. Unser Lebensmittelpunkt ist in Deutschland. Meine Familie und ich sind weiterhin in Deutschland. Wenn Spiele stattfinden, bin ich natürlich öfter in der Türkei, um sie mir anzuschauen. Wir besuchen unsere international aktiven Spieler und haben ebenfalls Kontakt mit den Vereinen und Trainern. Wenn wir nicht vor Ort sind, analysieren wir die Spiele im Nachhinein und fertigen Berichte über unsere Spieler an, kommunizieren mit ihnen, um sie im Rahmen unserer Möglichkeiten positiv zu begleiten – wohlwissend, dass die tägliche Arbeit in den Vereinen die Basis ist.
Transfermarkt: Welche Eigenschaften und Vorzüge bringen Sie neben der Tatsache mit, dass Sie Türkisch sprechen?
Kocak: Ich kenne die Liga gut, die Kultur und die Mentalität, weiß, wie die Spieler ticken. Es ist ein Vorteil zu wissen, wie man sie auf der zwischenmenschlichen Ebene packen kann. Stefan ist ebenfalls auf einem sehr guten Weg, er lernt fleißig Türkisch und kann sich mittlerweile sehr gut verständigen. Insofern ist der sprachliche Aspekt nie ein großes Thema gewesen.
Fenerbahce & Co.: Kocak will Angebote und Gespräche vertraulich behandeln
Transfermarkt: Welche alternativen Angebote bzw. Möglichkeiten hatten Sie vor Ihrer Unterschrift in der Türkei?
Kocak: Ich bin kein Trainertyp – und das will mir auch nicht nachsagen lassen –, der sich an Spekulationen beteiligt und im Nachhinein meint: Ich hätte auch dieses oder jenes machen können. Die Angebote, die man erhält, sollten vertraulich und professionell behandelt und nicht für die eigene Werbetrommel genutzt werden. Das habe ich nicht nötig. Insofern bleiben die Inhalte von vertraulichen Gesprächen bei mir. Aber natürlich hatte ich gute Angebote, die ich als Cheftrainer hätte annehmen können.
Transfermarkt: Das respektieren wir. Einmal möchten wir aber nachhaken. Es hieß, dass unter anderem Fenerbahce nach der Entlassung von Vitor Pereira im Dezember um Sie warb. Der Verband um Altintop stellte aber klar, dass man Sie nicht gehen lassen würde. Wie sind Sie damit umgegangen?
Kocak: Ich bin froh, dass er das gesagt hat. Es wäre schlimm, wenn er gesagt hätte: ‚Nichts wie weg mit dem!‘ (lacht) Wenn man diese Worte eines solch erfolgreichen Sports- und Fachmannes, der bei Real Madrid, Galatasaray, Bayern München und Schalke jahrelang auf hohem Niveau gespielt hat, hört, freut einen das. Ich habe Vertrag beim türkischen Verband. Das Verhältnis und die Professionalität sind mir sehr wichtig, deswegen habe ich das zur Kenntnis genommen und akzeptiert.
Transfermarkt: Bei Amtsantritt meinten Sie: „Wir haben Großes vor.“ Wie lautet die mittel- und langfristige Zielsetzung denn konkret? Sie haben als Trainerteam bis 2024 unterschrieben.
Kocak: Kurzfristig betrachtet haben wir die Playoffs in der WM-Quali vor der Brust, was für uns eine Herausforderung sein wird. Aber wir glauben daran und arbeiten dafür, das für viele unmöglich Scheinende möglich zu machen. Abgesehen davon möchte der Verband mit Stefan und uns einige Dinge vorantreiben. Wir müssen in unseren Strukturen wachsen. Ich hoffe, dass uns das gelingt und wir unsere Ideen umsetzen können.
Transfermarkt: Sie haben es angesprochen: Ende März wartet eine Riesenhürde mit dem Showdown in den Playoffs der WM-Qualifikation gegen Portugal. Ein mögliches Finale würde die Türkei gegen Italien oder Nordmazedonien bestreiten. Das Turnier in Katar scheint weit weg.
Kocak: Natürlich haben wir Hoffnungen und glauben daran. Warum auch nicht? Portugal und Italien oder Nordmazedonien sind sehr gute Gegner. Aber wir haben auch eine gute Mannschaft und glauben an unsere Chance. Sonst müssten wir ja gar nicht erst antreten.
Transfermarkt: Welche Auswirkungen hätte ein Scheitern für Sie und Ihr weiteres Wirken als Trainerteam?
Kocak: Wenn Erfolge kommen, wird gern vergessen, was in den Monaten zuvor war. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, unter welchen Voraussetzungen wir angetreten sind. Die Mannschaft hatte eine schlechte EM gespielt. In der WM-Quali-Gruppe fing sie danach stark an, ließ aber auch wieder stark nach. Wir haben dann unsere Hausaufgaben erledigt und uns mithilfe der Punkteverluste von Norwegen den zweiten Platz erkämpft. Diesen Erfolg, das, was wir geschafft haben, darf man nicht kleinreden. Aber jetzt wollen wir natürlich das i-Tüpfelchen und werden dafür alles tun.
Kocak übernahm Traineramt bei Hannover 96 „unter sehr schwierigen Bedingungen“
Transfermarkt: Blicken wir auf Ihre Vergangenheit. Bei Ihrer letzten Station Hannover 96 blieben Sie rund 20 Monate. Seit 2014 war nur André Breitenreiter länger im Amt bei den Niedersachsen. Warum haben sich die Wege am Ende wirklich getrennt?
Kocak: Ich habe den Verein unter sehr schwierigen Bedingungen übernommen, es war Abstiegskampf pur. Wir haben es damals noch auf einen starken sechsten Platz geschafft. Im Folgejahr haben wir mit Waldemar Anton, Cedric Teuchert, John Guidetti und Jannes Horn wichtige Stützen verloren. Das waren sehr gute Jungs, die sich bei uns top entwickelt hatten. Es ist uns nicht gelungen, diese Positionen adäquat zu ersetzen. Corona-bedingt hatten wir ohnehin eine schwierige Phase. Es lief nicht so, wie wir uns das alle vorgestellt haben. Natürlich habe auch ich nicht alles richtig gemacht, so ehrlich muss man schon sein. Ich habe kein Problem damit, mich selbst zu reflektieren. Trotz allem ist es uns aber gelungen, Hannover 96 zu stabilisieren und ein gewisses Fundament zu hinterlassen.
Transfermarkt: Inwiefern?
Kocak: Im Profifußball geht es um die sportliche Entwicklung und damit verbunden auch um die wirtschaftliche Entwicklung. Somit ist es immer ein Ziel, den Marktwert der Spieler auch für den Verein zu steigern. Das ist uns sowohl in Sandhausen als auch in Hannover gelungen. Lucas Höler, Philipp Förster, Marvin Ducksch und Waldemar Anton sind hier nur ein paar Beispiele. All diese Spieler konnten für viel Geld weiterverkauft werden. Das Thema Entwicklung war mir bei meinen bisherigen Stationen schon sehr wichtig. Auch in der Zeit, als die ganzen Nachwuchsleistungszentren coronabedingt geschlossen waren, haben wir in Hannover trotzdem einigen Spielern zu ihrem Debüt verholfen. Wir haben versucht, den Verein nach vorne zu bringen. Aber am Ende habe ich gemerkt, dass es einfach nicht mehr so richtig gepasst hat. Und wenn man dieses Gefühl hat, muss man ehrlich miteinander umgehen, das ist eine Frage des Respekts. Deswegen habe ich die Entscheidung getroffen, meinen Vertrag nicht zu erfüllen und vorzeitig zu beenden. Es gab sehr faire und vertrauensvolle Gespräche mit Herrn Kind (96-Geschäftsführer; d. Red.), wofür ich sehr dankbar bin.
Transfermarkt: Hannover war nach dem SV Sandhausen Ihre zweite Station in der 2. Liga. Welche Dinge würden Sie im Nachhinein denn anders oder gar besser machen?
Kocak: Davon gibt es mit Sicherheit welche. Ich bin auf jeden Fall ein besserer Trainer als zuvor. Man lernt nie aus. Beispiel: Die rechtzeitige Kaderplanung. In der Vorbereitung habe ich kein einziges Mal mannschaftstaktisch trainieren können, sondern immer nur in kleinen Gruppen. Das hat sich wie ein roter Faden durch die ganze Runde gezogen. Wenn man eine DNA entwickeln und gut arbeiten will, ist es ein Fundament, dass die Mannschaft rechtzeitig steht. Das war leider nicht der Fall.
Transfermarkt: 96-Boss Martin Kind gilt als nicht immer einfach im Umgang, sagte nach der Bekanntgabe der Trennung, dass er Ihnen „unglaublich viel Vertrauen gegeben“ habe. Wie lief die Zusammenarbeit?
Kocak: Das Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit. Ich hatte meinen Vertrag trotz vieler Angebote bis 2024 verlängert. Deswegen war das Vertrauen nicht nur einseitig. Ich kann über den direkten Umgang mit Martin Kind nichts Negatives sagen. Ich hatte mit ihm persönlich kein Problem.
Transfermarkt: Hannover 96 kommt auch in dieser Spielzeit nicht in die Nähe der gewünschten Aufstiegsränge, ist graues Mittelmaß. Wie verfolgen und bewerten Sie die Entwicklung bei Ihrem Ex-Klub?
Kocak: Ich bin nicht mehr so intensiv dabei, aber ich schaue natürlich auf die Ergebnisse. Es gibt noch den einen oder anderen Kontakt dorthin, der ist auch zu einigen Spielern nie abgerissen. Ich drücke Hannover 96 alle meine Daumen und hoffe, dass der Klub erfolgreich ist und seine Ziele erreicht. Sie haben in den vergangenen Wochen ergebnistechnisch gut aufgeholt.
Transfermarkt: Was ist noch hängengeblieben?
Kocak: Hannover ist eine tolle Stadt mit tollen Menschen. Leider habe ich die Fans wegen Corona kaum erleben dürfen, ich habe fast nur Geisterspiele mitgemacht. Ich war der Corona-Trainer von Hannover 96. Ohne Fans war es ein Nachteil, zudem waren wir zwei-, dreimal in Quarantäne. Wir hatten mit Timo Hübers den ersten Corona-Fall überhaupt im deutschen Profifußball. Ich habe als Trainer dort einiges erlebt, das war Wahnsinn.
Ex-Hannover-Coach Kocak lobt Nagelsmann & Tedesco: „Ganz große Karriere vor sich“
Transfermarkt: Wann sehen wir Sie wieder als Cheftrainer? Wenn man einmal hauptverantwortlich für ein Team war, bekommt man davon sicher nicht genug…
Kocak: Mir macht die Arbeit im Verband Spaß, ich habe eine riesige Motivation, die Dinge gemeinsam im Trainerteam in die richtigen Bahnen zu lenken. Ich bin keiner, der lange in der Vergangenheit lebt und sich viele Gedanken über die Zukunft macht. Für mich zählt immer der Moment, das Hier und Jetzt. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit, darauf liegt mein ganzer Fokus. Alles andere ist hypothetisch. Im Fußball und ganz allgemein im Leben ist nichts auszuschließen.
Transfermarkt: Am Wochenende kommt es zum Bundesliga-Duell zwischen Bayern Münchens Julian Nagelsmann und RB Leipzigs Domenico Tedesco. Sie haben alle drei gemeinsam die Bank beim 62. Fußballlehrer-Lehrgang gedrückt, 2016 erhielten Sie die UEFA-Pro-Lizenz. Wie haben Sie Nagelsmann und Tedesco wahrgenommen? Haben Sie beim Jahrgangsbesten Tedesco spicken dürfen?
Kocak: Die Beiden haben doch bei mir abgeschrieben. (lacht) Sie sind unterschiedlich, aber jeder ist auf seine eigene Art ein wahnsinnig guter Typ. ‚Jule‘ ist so, wie er ist, er verstellt sich nicht und ist selbstbewusst. Dem ist egal, was andere über ihn denken. ‚Dome‘ ist als Italiener ein Gentleman, der vielleicht keine großen Reden schwingt, sondern eher sachlich und ruhig ist. Da ist Jule eher der flippige Typ. Aber das ist ja nicht schlimm. Beide sind tolle Charaktere, sehr intelligent und sehr gebildet. Ihre Erfolge in den vergangenen Jahren sprechen für sich, zeigen ihre Qualität als Trainer. Ich denke, dass sie beide eine ganz große Karriere vor sich haben.
Interview: Philipp Marquardt (PhilippMrq)
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf transfermarkt.de