Trabzonspor-Klubboss Ahmet Agaoglu äußerte sich gegenüber dem türkischen Nachrichtendienst „Milliyet“ über die auslaufenden Verträge, die Transferpolitik des Vereins und bewertete seine Arbeit als Vereinspräsident kritisch. Während der 63-Jährige mit der finanziellen Lage zufrieden ist, sieht er im sportlichen Bereich Verbesserungsbedarf. Ein Spieler eines anderen Klubs bekam ebenfalls etwas von der Kritik ab.
„Ich kam in einer schweren Zeit“
Auf die Frage, wie er die Chancen auf den Meistertitel bewerte, reagierte Agaoglu optimistisch. „Wir haben das Amt in einer sehr schwierigen Zeit übernommen. Dabei haben wir stets die Interessen des Vereins in den Vordergrund gestellt. Zunächst hatte ich drei Jahre Geduld gefordert, bis wir um den Titel mitspielen können. Wenn der Verein gut geführt wird, kann sich die Arbeit früher auszahlen wie man sieht. Nun stehen wir an der Tabellenspitze. Es ist das Jahr, auf das wir gewartet haben. Von nun an wird es jedes Jahr der Fall sein. Ich möchte niemandem zu nahe treten, doch wir sind der größte Favorit auf den Titel. Der Gewinn der langersehnten Meisterschaft ist lediglich acht Wochen entfernt. Unsere Konkurrenten sind Medipol Basaksehir, Galatasaray und Sivasspor. Doch wir haben die beste Ausgangslage.“
„Dieser Kader wird in der Champions League antreten“
Auf die Frage, ob der langersehnte Meisterschaftspokal in diesem Jahr seinen Platz im Vereinsmuseum einnehmen wird, erwiderte Agaoglu: „Ich habe nie gesagt, dass ich gekommen bin, um die Meisterschaft zu gewinnen. Ganz im Gegenteil, ich hatte drei bis vier Jahre Geduld gefordert. Die Schulden betrugen zu dem Zeitpunkt das Fünffache der damaligen Einnahmen. Zunächst wollten wir die Finanzen in den Griff bekommen und ein nachhaltiges System integrieren. Daher haben wir unsere Arbeit im finanziellen Bereich begonnen. Ein Spieler hatte sogar die Aussage getroffen, dass Trabzonspor sich nicht verkleinern darf. Daraus hatte ich den Schluss gezogen, dass auch die sportliche Disziplin nicht mehr vorhanden war. Wir haben die Personalkosten von 40 Millionen Euro auf 16,5 Millionen Euro gesenkt. In der kommenden Saison werden wir uns weiterhin in diesem Bereich bewegen. Sollten wir die Meisterschaft gewinnen, wird dieser Kader den Klub in der Champions League vertreten. Wenn diese Mannschaft den Titel holen kann, wieso sollte ich einen Umbruch starten? Selbstverständlich wird die Mannschaft punktuell verstärkt.“
„Die Einführung der Reserveliga ist immens wichtig“
Agaoglu begründete zudem seinen Einsatz für die Einführung einer Reserveliga. „Dies ist für den türkischen Fußball von immenser Bedeutung. Wir haben einen breiten Kader. Ein Spieler, um den ich mich in jeder Hinsicht sorge, bleibt im schlimmsten Fall ein Jahr dem Fußball fern. Es ist keine Lösung Spieler zu verleihen, damit sie Spielpraxis sammeln. In der Zeit, als 1461 Trabzon unsere Pilotmannschaft war, mussten wir herbe Verluste hinnehmen. Dort waren 24 Spieler von uns. Als eine Transfersperre verhängt wurde, konnten wir von dort keine Spieler in unser Team holen. Doch wenn es wie in anderen Ländern ein B-Team gegeben hätte, wäre das kein Problem gewesen. Wir wollen, dass die Spieler mit den von uns zur Verfügung gestellten Mitteln arbeiten. Die Vereinspräsidenten der unterklassigen Klubs haben sich zunächst gegen eine Reserveliga ausgesprochen. Fenerbahce hat sich ebenfalls für die Einführung ausgesprochen. Sie leihen ihre jüngeren Spieler auch an andere Vereine aus. Die Gegebenheiten in den Klubs, an die wir unsere Spieler ausleihen, sind nicht dieselben wie bei uns. Die FIFA sagt, es dürfen lediglich sieben Spieler ausgeliehen werden. Das ist ein großes Hindernis.“
„Jose Sosa ist unser Anführer“
Bezüglich der Vertragsverlängerungen konnte der 63-Jährige zumindest in der Causa Jose Sosa ein deutliches Zeichen geben. „Sosa denkt derzeit nicht an eine Rückkehr nach Argentinien. Seine erste Präferenz ist Trabzonspor. Wir telefonieren täglich fast eine halbe Stunde mit ihm. Er ist ein wichtiger Bestandteil dieser Mannschaft. Sosa ist nicht nur ein einfacher Spieler. Er übernimmt Verantwortung und führt die Mannschaft auf und neben dem Platz. Über seine Karriere muss ohnehin nicht diskutiert werden. Er erklärte mir, dass er private Angelegenheiten zu klären habe. Dabei geht es um die Schuldbildung seiner Kinder. In den Gesprächen war das Finanzielle stets zweitrangig. Nach seiner aktiven Karriere könnte er eventuell eine Position im Trainerstab bekleiden. Für Filip Novak haben wir unser bestes Angebot abgegeben. Da er drei Berater hat, gibt es einige Probleme. Der Spieler hat bis zum Saisonende Bedenkzeit eingefordert. Nicht einmal meinem eigenen Bruder gegenüber würde ich beim Gehalt Eingeständnisse machen. Der Höchstbetrag ist klar definiert. Alles andere würde den Rahmen sprengen.“
„Der Kapitän einer anderen Mannschaft hat Sosa angerufen“
Auf die Frage, ob ein Spieler eines Ligakonkurrenten vor der Ligapause Sosa angerufen habe, reagierte Agaoglu empört. „Ich möchte keine Namen nennen. Der Kapitän einer anderen Mannschaft rief zu Beginn der Covid-19-Pandemie Sosa an und erklärte, die genannten Zahlen würden nicht stimmen. Die Fallzahlen im Land wären viel höher, der Fußball sei nicht wichtiger als ihr Leben und sie würden den Ligabetrieb nicht fortsetzen wollen. Sosa antwortete daraufhin, dass die Mannschaft mit dem Vorstand im Austausch ist und deren Entscheidung akzeptieren wird. Dafür möchte ich unseren Kapitän loben, das ist eine vorbildliche Herangehensweise.“
„Wir wollten nie vorzeitig zum Meister ernannt werden“
Das Krisenmanagement des TFF bewertete Agaoglu aus zwei Perspektiven: „Es ist eine sehr schwierige Situation. Möge Gott uns vor einer solchen Lage bewahren. Als Tabellenführer der Liga haben wir uns klar positioniert. Wir haben versichert, jede getroffene Entscheidung zu akzeptieren. Während der Spitzenreiter ein derartiges Verhalten an den Tag legte, war es für mich inakzeptabel, dass Einige versuchten, von dieser Situation zu profitieren. Dies war die Hauptursache für die Diskussionen während des Meetings mit der Ligavereinigung. Als über die Abschaffung des Abstiegs gesprochen wurde, haben sich einige Mannschaften plötzlich für die Fortsetzung des Ligabetriebs ausgesprochen. So etwas entscheidet man nicht innerhalb einer Stunde. Es wurde alles dafür getan, damit der Fußballverband die Krise schlecht leitet. Zunächst wurde gesagt, der Fußball sei nicht wichtiger als Menschenleben. Anschließend bestanden dieselben Personen darauf, die Liga fortzusetzen. Ein derartiges Verhalten ist inakzeptabel.“
„Der Verkauf eines Spielers bringt uns die Ausgaben wieder ein“
Der Trabzonspor-Klubboss erklärte die Hintergründe zur Verpflichtung von Top-Torjäger Alexander Sörloth und gab die zukünftige Transferpolitik des Vereins bekannt. „Als wir Sörloth verpflichteten, wurde der Transfer scharf kritisiert. Doch dieselben Personen kritisieren uns nun, weil wir die Kaufoption nicht sofort ziehen. Ein Verein mit einem durchdachten Plan lässt sich nicht von Außen beeinflussen. Eigentlich wollten wir den Vertrag mit Hugo Rodallega verlängern. Als sein Berater eine Forderung nach der anderen stellte, orientierten wir uns um. Die von unseren Scouts beobachteten fünf bis sechs Spieler wurden dem Trainerstab vorgeschlagen. Dieser gab grünes Licht für Sörloth. Bei dem Norweger muss ich noch hinzufügen: Er hat einen super Charakter. Obwohl er gestern Urlaub hatte, trainierte er mit den Co-Trainern auf dem Nebenplatz. Unsere Transferpolitik werden wir weiterhin auf diese Art gestalten. Ablösefreie Spieler oder das Ausleihen mit einer geringen Gebühr werden wir in den Vordergrund stellen.“
Agaoglu weiter: „Vergleicht man die Schulden der Istanbuler Klubs mit unseren, ist ein deutlicher Unterschied erkennbar. Wir haben nur ein Viertel der Schulden dieser Vereine. Außergewöhnlich hohe Ausgaben gibt es ebenfalls nicht. Für einen Spieler wie Sörloth zahlen wir 275.000 Euro an Crystal Palace. Dazu haben wir Yusuf Yazici für 18 Millionen Euro verkauft. Würden wir von den Nachwuchsspielern jedes Jahr einen verkaufen, hätten wir unsere Personalkosten gedeckt. Wenn wir gar nichts tun, können wir die Kosten durch anderweitige Spielerverkäufe decken. Es stimmt, dass diverse Angebote für vier Spieler vorliegen. Vier Abgänge gleichzeitig wird es definitiv nicht geben. Ich wäge immer ab und betrachte das Angebot dahingehend, welche Vision das interessierte Team verfolgt. Selbstverständlich muss auch der Spieler dorthin wechseln wollen.“