Trabzonspor-Klubboss Ahmet Agaoglu gab ein Interview beim „Verein der türkischen Sportjournalisten“. Der 64-Jährige sprach neben seinen Erfahrungen in den drei Jahren als Vereinspräsident zudem über das Titelrennen in der aktuellen Saison und seine Pläne für den türkischen Fußball. Dabei nimmt Agaoglu das System in der spanischen La Liga als Vorbild und möchte dieses auch in der Türkei einführen.
„Ich wurde zu einem unerwarteten Zeitpunkt gewählt“
Agaoglu erklärte, dass er zuvor das Amt des Klubbosses bekleiden wollte, doch erst zu einem Zeitpunkt gewählt wurde, als es für ihn unerwartet kam. „Ich habe Ende 1990 zum ersten Mal im Vorstand unter Sadri Sener gearbeitet. Ende 2000 war ich als Assistent von Özkan Sümer im Vorstand vertreten und 2002 habe ich selbst kandidiert. Damals hat es nicht geklappt, doch im Jahr 2018 wurde ich überraschenderweise gewählt. Am 4. Dezember 2021 werde ich als einziger Kandidat wiedergewählt und mit einigen kleinen Änderungen im Vorstand weiter machen.“
„Mein Leben hat sich komplett verändert“
Der Vorsitzende der Ligavereinigung erklärte, dass sich sein Leben mit seiner neuen Aufgabe schlagartig verändert hat. „Wir haben ein Amt bei einem Klub übernommen, das den Erfolg lange herbeisehnt, sich die Meisterschaft zum Ziel gesetzt hat und nicht nur alle anderen Platzierungen als erfolglos ansieht, sondern zudem noch finanziell in einem desolaten Zustand war. So war es wichtig, eine gesunde finanzielle Grundlage zu schaffen und gleichzeitig ein wettbewerbsfähiges Team zusammen zu stellen. Dafür ist es unumgänglich, auf Freizeit, Familie und gewisse soziale Aktivitäten zu verzichten. Mein Leben hat sich dementsprechend komplett verändert. Allerdings verschaffen mir jedes Tor, jeder Sieg, ein guter Fußball und nach Rückständen gewonnene Spiele den größten Genuss.“
„Trabzonspor ist die wichtigste Marke der Türkei“
Auf die Frage, wie er die Entstehungsgeschichte des heutigen Erfolgs beschreiben würde, hob Agaoglu die Wichtigkeit der finanziellen Stabilität hervor. „Zu aller erst gibt es ein Trabzonspor, das finanzielle Stabilität erlangt hat. Wenn man die Schulden aus der Vergangenheit ignoriert, haben wir einen Kreislauf geschaffen, in dem die Einnahmen die Ausgaben decken. Dieses Versprechen hatten wir bei unserem Amtsantritt gegeben. Dass dieser Kreislauf in dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage nachhaltig eingehalten werden kann, erfordert neue, Einnahmen generierende Projekte. Währenddessen muss die Mannschaft stets im Meisterschaftsrennen vertreten sein. Das ist kein Ziel, das ist die Vereinskultur von Trabzonspor. Trabzonspor ist nicht nur eine wichtige Marke in der eigenen Stadt, sondern die wichtigste Marke der Türkei. Unser Ziel ist neben dem sportlichen Erfolg einen Beitrag für den Tourismus, die Industrie und die Kunst zu leisten und hier Vorreiter sein.“
„Wir haben unsere Zielvorgaben erfüllt“
Die Frage, an welchem Punkt der Klub in dem Dreijahresplan, den der Vorstand beim Amtsantritt vorgestellt hat, aktuell steht, beantwortete Agaoglu mit einem kurzen Rückblick auf seine Anfangszeit. „Es war eine Phase, in der wir finanziell erheblich angeschlagen waren. Dabei handelte es sich nicht um Probleme, die man innerhalb von ein bis zwei Jahren lösen kann. Von der Wirtschaftskrise im Jahr 2000 hat sich unser Land erst vier Jahre später erholen können. Unser Nachbar Griechenland hat dasselbe durchgemacht. Wenn man wirtschaftlich am Boden ist und nicht gerade jemand einen Koffer mit 185 Millionen Euro auf deinen Tisch legt, merkt man nach der Berechnung der potenziellen Einnahmen und dem Erstellen des Haushaltsplans, dass drei bis fünf Jahre notwendig sind, um wieder nachhaltig wirtschaften zu können. Doch sind wir an dem Punkt angelangt, den wir für heute vorgesehen haben? Ja, das sind wir.“
„Der Rückhalt des Klubs ist immens wichtig“
Agaoglu erklärte, dass ohne den Rückhalt des Vereins nichts auf die Beine gestellt werden könnte. „Vor Jahren wurde folgender Satz gesagt: Wenn man das Trikot von Trabzonspor für sich spielen lässt, würde es mindestens den vierten Platz holen. In den letzten drei Jahren sind wir zwei Mal Vierter und einmal Zweiter geworden. Egal unter welchen Umständen, der vierte Platz kann für diesen Verein nicht als Erfolg gewertet werden. Wir hätten auch mit dem damals bescheideneren Kader die Meisterschaft gewinnen können, das hat mit der Vision des Klubs zu tun. Es gibt etwas, das man keineswegs unterschätzen darf: Die Unterstützung des Vereins. Der Klub wusste, mit welchen ernsthaften Problemen wir zu dem Zeitpunkt zu kämpfen hatten und dass wir mit einem gut durchdachten Plan vorgehen. Daher haben wir den vollen Rückhalt bekommen. Wenn dieser Rückhalt fehlt, gleicht es dem Fehlen eines Beins bei einem dreibeinigen Tisch und es ist unmöglich erfolgreich zu sein.“
„Möchte das La Liga-Modell einführen“
Auf die Frage, was er im türkischen Fußball ändern würde, wenn er könnte, gab Agaoglu die spanische La Liga als Vorbild an. „Ich würde das gesamte Konstrukt verändern. Die Profiklubs und der türkische Fußball sollten finanziell und administrativ gut geführt werden wie in der La Liga. Der Verband sollte den Matchkalender, die Regeln zur Transferpolitik, die Organisation der Spiele sowie die Verantwortung für die Nationalmannschaft übernehmen und den Rest den Vertretern der Klubs überlassen. Der Profivereine sollten auch die Führung des Profifußballs übernehmen.“
„Ich muss einen kühlen Kopf bewahren können“
Der 64-Jährige wies darauf hin, dass er als Führungsperson im Titelrennen einen kühlen Kopf bewahren und den Klub leiten muss. „Ich mache meine Arbeit, die Anspannung ist jedoch zu spüren. Ich habe jedoch ein Amt inne, in dem ich die Ruhe bewahren muss. Wäre ich nicht Klubpräsident, sondern Fan, wäre ich aktuell durchaus angespannt. Als eine Person, die die Jahre 1996, 2004 oder 2010/11 miterlebt hat, weiß ich, wie lange es dauert, um diese Enttäuschung aufzuarbeiten. Ich bin dieses Mal jedoch der Kapitän dieses Schiffs und kann nicht während der Fahrt die Hände in die Luft strecken. Wir müssen nämlich den Weg dieses Klubs bestimmen. Ich trage die Verantwortung für diesen Verein und muss in dieser Situation cool bleiben können. Wenn wir die Meisterschaft gewinnen, werde ich darüber nachdenken, wie die Meisterschaftsprämien gezahlt werden, mit welchem Kader ich in der nächsten Saison in der Champions League antreten werde und wie dieser Kader finanziert wird. Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach der Meisterschaft.“