Darmstadt 98 ist mit der Verpflichtung von Serdar Dursun im Sommer ein Coup gelungen. Der gebürtige Hamburger spielt nach seinem Wechsel aus Fürth eine bärenstarke Saison für die „Lilien“, bei denen er ein Garant für den jüngsten Klassenerhalt ist. Im Interview mit Sven Bauer (Lapdog) sprach der 27-Jährige über seine bestechende Form, das Ziel Bundesliga und die harte Fußball-Schule in er Türkei.
Transfermarkt: Herr Dursun, mit dem Auswärtssieg ausgerechnet bei Spitzenreiter Köln gelang Ihren „Lilien“ der vorzeitige Klassenerhalt. Mit welchen Gefühlen und Gedanken geht man da nach Abpfiff zu den Fans in die Kurve?
Serdar Dursun: Für solche Momente wirst du Profi. Als wir in die Kurve gegangen sind und die Fans beim ausgelassenen Jubel gesehen haben, waren wir alle sehr stolz. So etwas erlebst du nicht jeden Tag. Ein Sieg in diesem Stadion, der dann auch noch den vorzeitigen Klassenerhalt bedeutet, das ist schon etwas ganz Besonderes. Das war ein Verdienst der gesamten Mannschaft. Wir haben leidenschaftlich verteidigt, uns in jeden Schuss geworfen und wurden am Ende belohnt.
Transfermarkt: Sind Sie aktuell in der Form Ihres Lebens?
Dursun: Wenn man sich die Fakten ansieht und feststellt, dass ich Vertrauen spüre, regelmäßig spiele, mich topfit fühle, Chancen habe und zweistellig treffe, kann man sicherlich von einer sehr guten Form sprechen, vielleicht sogar der besten meines bisherigen Lebens, ja. Hinzu kommen zwei sehr wichtige Faktoren: Ich fühlte mich in Darmstadt von Beginn an sehr wohl und befinde mich langsam aber sicher im besten Alter für einen Mittelstürmer. Hoffentlich kommen in dieser Saison noch ein paar Scorerpunkte hinzu, so dass ich am Ende der Runde auf eine wirklich tolle Saison zurückblicken kann.
Transfermarkt: Für das Team lief es in der Saison lange nicht so rund. Nach Dirk Schuster und Kai Peter Schmitz erleben Sie mit Dimitrios Grammozis bereits den dritten Trainer. Wie haben Sie das Ende von Schuster erlebt, zumal er an Ihrer Verpflichtung beteiligt war?
Dursun: Dirk Schuster und sein Team waren sogar ein großer Faktor in meiner Entscheidung für Darmstadt im letzten Sommer. Sie haben mich geholt und mir in einer Phase großes Vertrauen geschenkt, als ich in Fürth außen vor war. Das ist alles andere als selbstverständlich. Dafür danke ich ihnen und wünsche ihnen in der Zukunft nur das Beste. Als sie entlassen wurden, war ich kurz schockiert, aber so ist es im Fußball: irgendwann kommt ein neuer Trainer und du musst einfach weiter Gas geben. Jetzt versuche ich meine Stärken im System von Dimi Grammozis einzubringen und auch unter ihm spüre ich großes Vertrauen, und außerdem macht mir die Arbeit in Darmstadt riesige Freude.
Transfermarkt: Dass Sie in Darmstadt landen würden, war letztes Jahr erst mal nicht abzusehen. Einiges deutete auf Erzgebirge Aue hin.
Dursun: Im Sommer war ich tatsächlich in der glücklichen Lage zwischen unterschiedlichen Vereinen zu entscheiden. Auch Aue war dabei, das kann ich bestätigen. Das waren wirklich gute Gespräche. Am Ende hat mein Bauchgefühl eher für Darmstadt und die Rolle, die ich hier von Beginn an einnehmen durfte, gestimmt. Mit dieser Entscheidung bin ich auch sehr glücklich. Es war die richtige.
Transfermarkt: Ihr Weg nach Deutschland war holprig. Bei ihrer ersten Profistation bei Greuther Fürth mussten sie gleich mehrmals zum Probetraining antreten. Was war da los?
Dursun: Ein leichter Weg war das wirklich nicht. (lacht) Ich bin mit 19 in die Türkei gegangen und stand mit 24 als ablösefreier Spieler vor der Entscheidung, die Anfrage zu einem Probetraining bei Greuther Fürth anzunehmen oder nicht. Ramazan Yildirimhatte mich damals eingeladen. Ich hatte immer den Traum, in Deutschland Profi zu sein und habe mich schnell dafür entschieden. In Fürth sollte ich zuerst zwei Tage bleiben, dann wurde nochmal um zwei Tage verlängert. Danach hatte ich ein sehr gutes Gespräch mit Trainer Stefan Ruthenbeck, der mir gesagt hat, dass ich einen positiven Eindruck hinterlassen habe, er mich aber nochmal in der Vorbereitung sehen möchte. Viele Spieler hätten das wahrscheinlich abgelehnt, zumal ich auch andere Anfragen aus dem Ausland vorliegen hatte und diese Vereine Klarheit haben wollten. Am Ende bin ich „all in“ gegangen, bin zur Vorbereitung wieder nach Fürth geflogen und habe mir am Ende den Vertrag erkämpft. Diese Erfahrung hat mich definitiv stärker gemacht und ich bin froh, dass ich damals so entschieden habe.
Transfermarkt: Ihr Trainer Grammozis hat vor kurzem gesagt, dass Sie „ein unheimlich positiver Mensch“ seien. Wie wichtig ist diese Charaktereigenschaft für Sie?
Dursun: Dass der Trainer das über mich sagt, ehrt mich natürlich. Ich bin generell ein fröhlicher, dankbarer und positiver Mensch und versuche immer, das Gute an verschiedenen Situationen zu sehen. Hinzu kommt, dass ich mich in Darmstadt und innerhalb der Truppe unwahrscheinlich wohl fühle. Da fällt es einem dann nochmal leichter, seine positive Einstellung vielleicht sogar auf die Mitspieler zu übertragen und denen zu helfen, die vielleicht gerade nicht so gut drauf sind. Am Ende muss man bei aller Professionalität eine gewisse Lockerheit an den Tag legen, um sein komplettes Potenzial auszuschöpfen. Davon bin ich überzeugt. Wenn du dann eine Mannschaft hast, in der du auch neben dem Platz etwas unternimmst oder dich zumindest gut verstehst, fällt die Kommunikation auf dem Platz natürlich leichter und du gehst auch mal den ein oder anderen Meter mehr für deine Mitspieler. So sollte es zumindest sein, finde ich.
Transfermarkt: Sportlich hat sich der Wechsel von Fürth nach Darmstadt für Sie gelohnt, denn durch Ihre Leistungen haben Sie sich auf diverse Notizzettel gespielt. In einem Interview haben Sie gesagt, dass Sie dennoch einen Wechsel nicht ausschließen. Wo sehen Sie sich in den kommenden Jahren?
Dursun: Ganz klar: Der Wechsel hat sich gelohnt. Ich fühle mich sauwohl, der Klub ist zufrieden mit meinen Leistungen, ich spiele, ich treffe. Am Ende weiß man aber nie, was passiert im Leben, speziell im Fußball. Da kannst du nichts voraussagen, planen oder ausschließen. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt, gebe einfach Gas und arbeite auf mein nächstes Tor hin. Wenn ich das geschossen habe, geht es mit dem nächsten weiter. Jeder kleine Junge träumt davon, irgendwann mal Bundesliga zu spielen. So ist das auch bei mir. Da mache ich auch keinen Hehl draus und das finde ich auch nicht schlimm. Vom Reden ist da aber übrigens noch keiner hingekommen. Das ist mein Traum und für meine Träume kämpfe ich und arbeite sehr fokussiert – jeden Tag, jedes Training.
Transfermarkt: Selbst die A-Nationalmannschaft der Türkei ist ein Thema. Was bedeutet Ihnen diese Möglichkeit?
Dursun: Genau wie jeder Junge in Deutschland von der Bundesliga träumt, träumt jedes Kind davon, irgendwann mal für sein Vaterland zu spielen. Das ist doch vollkommen klar. Wenn ich diesen Traum nicht hätte, wäre ich fehl am Platz. Auch dafür zerreiße ich mich in jedem Training.
Transfermarkt: Gab es mittlerweile Kontakt zum Verband?
Dursun: Ich weiß, dass der Co-Trainer mich einige Male beobachtet hat. Somit habe ich den Eindruck, dass ich zumindest zum erweiterten Kreis zähle. Ich muss einfach Gas geben und regelmäßig treffen. Vielleicht geht dieser Traum dann irgendwann in Erfüllung.
Transfermarkt: In der Türkei haben Sie fünf Jahre gespielt – und haben beide Seiten der Medaille kennengelernt. Auf der einen Seite haben Sie geknipst, auf der anderen Seite auch wenig Praxis bekommen. Wie steinig war der Weg zu Anfang und wie pusht man sich auch durch harte Zeiten?
Dursun: Wie eben gesagt: Ich habe wirklich schon einiges miterlebt, sowohl positiv als auch negativ. Wenn ich das alles erzählen wollen würde, müsste ich ein Buch schreiben. Ich habe in der Türkei die 1., 2. und 3. Liga kennengelernt. Da sammelst du Erfahrungen, die sicher nicht immer schön sind, und kommst an Punkte, an denen du dich fragst, ob du aufhören sollst. Mental musst du unfassbar stark sein, dazu brauchst du einen starken Rückhalt aus deiner Familie. Beides war bei mir gegeben und ich habe einfach immer Gas gegeben und daran geglaubt, dass irgendwann eine Tür für mich aufgehen wird. Das war dann das Training in Fürth. Ich bin überzeugt davon, dass sehr viele Spieler an meiner Stelle irgendwann aufgegeben hätten, zurück nach Deutschland gegangen wären und eine Ausbildung oder ähnliches begonnen hätten. Ich habe mich durchgeboxt, immer weiter gepusht und wurde am Ende belohnt. Darauf bin ich sehr stolz.
Transfermarkt: Wie hat sich diese Zeit auf Sie ausgewirkt – sowohl sportlich als auch charakterlich?
Dursun: Zum Sportlichen: In der Türkei wird ein sehr körperbetonter Fußball gespielt, sehr aggressiv und robust, aber auch die Technik kommt nicht zu kurz. Insbesondere die Elemente Körperlichkeit und Robustheit habe ich mir spätestens dort angeeignet. Wenn du das da nicht annimmst, gehst du unter. Davon lebe ich natürlich auch heute noch. Charakterlich: Ich habe dort viel gesehen und erlebt, was nicht so schön war. Das ist erstmal natürlich negativ. Charakterlich kann es dich aber nach vorne bringen, wenn du die Situation als Chance verstehst. Dann pusht dich das sogar. Ich bin von Haus aus ein Kämpfertyp, in der Türkei bin ich aber erst richtig zu einem Kämpfer geworden. Das bringt dich natürlich extrem weiter, ob im Fußball oder generell im Leben.
Transfermarkt: Ihr Bruder Serkan ist wie Sie Stürmer, derzeit spielt er in der A-Jugend-Bundesliga für den FC St. Pauli. Was trauen Sie ihm in den kommenden Jahren zu?
Dursun: Serkan macht es als Jungjahrgang in der U19 wirklich gut. Er hat mittlerweile einen Stammplatz und trifft regelmäßig. Gerade wurde er sogar erstmals in die deutsche U18-Nationalmannschaft berufen, was ihn und unsere ganze Familie sehr gefreut hat. Generell ist mein Bruder ein absolut talentierter Spieler, hat als Jugendspieler aber auch natürlich noch gewisse Defizite. Ich hoffe und denke, dass er weiter hart und fleißig an sich arbeiten wird. Ich bin mit ihm im engen Austausch und traue ihm eine ganze Menge zu, wenn er verletzungsfrei bleibt. Vielleicht spielen wir ja irgendwann mal zusammen. (lacht)
Transfermarkt: Was machen Sie, wenn Sie nicht auf dem Platz stehen?
Dursun: Neben dem Platz bin ich ein eher ruhiger Typ ohne verrückte Hobbies oder sowas. Ich unternehme viel mit meiner Frau, wir gehen spazieren oder ins Kino, wenn es die Zeit zulässt. Außerdem reisen wir gerne. Weil wir Profis viel Zeit auf dem Trainingsplatz und bei den Spielen verbringen, genieße ich aber auch die Zeit zu Hause und ruhe mich aus, um Kraft zu tanken. Darüber hinaus würde ich mich als angenehmen Typen bezeichnen, der seine Freunde trifft und für jeden Spaß zu haben ist.
Transfermarkt: Bitte erzählen Sie ein Erlebnis aus Ihrem Fußballerleben.
Dursun: Mir wird jeder abnehmen, dass ich sehr viele Erlebnisse aus meiner Karriere erzählen könnte. Ich nehme aber ganz bewusst ein Erlebnis aus der jüngeren Vergangenheit: Die letzten Tage in Fürth waren der Horror für mich. Ich durfte beim 11-gegen-11 nicht mitspielen, bin zu den letzten Tests nicht mehr mitgefahren und habe individuell trainiert, weil mein Wechsel im Raum stand. Das war eine verdammt harte Zeit. Dann vier Tage vor dem ersten Spieltag endlich der Durchbruch und der Wechsel nach Darmstadt. Im Normalfall hätte ich nicht gespielt, weil ich in Fürth nicht mehr regelmäßig mit der Mannschaft trainiert und vor dem Paderborn Spiel nur vier Einheiten in Darmstadt hatte, wovon ich die erste nur halb mitmachen konnte. Trotzdem kam Dirk Schuster vor dem Spiel zu mir und sagte: „Serdar, ich vertraue dir. Du spielst von Beginn an!“ Diesen Vertrauensvorschuss werde ich niemals vergessen und als ich in der zweiten Halbzeit den Siegtreffer zum 1-0 erzielen und vor unseren Fans jubeln durfte, war ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Das war ein tolles Erlebnis und wird mir wohl für immer in Erinnerung bleiben.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.transfermarkt.de
Autor: Lapdog