Pünktlich zum vereinbarten Gesprächstermin via WhatsApp-Videocall erwischt Transfermarkt Robin Yalcin außerhalb seiner vier Wände, während seine Frau im Einrichtungshaus weilt. Der 27 Jahre alte Neuzugang des SC Paderborn nimmt sich für das vereinbarte Interview eine 40-minütige Auszeit vom nervigen Umzugsstress. „Es lief leider nicht ganz optimal für uns, wir hatten eigentlich schon zwei Wohnungen gefunden. Die eine bekamen wir wegen unseres Hundes nicht, die andere war für Personen über 50. Vor sechs Wochen fanden wir endlich eine passende Wohnung – die wurde aber erst zum 1. Oktober frei.“
Nicht nur wohnlich geht es voran, auch mit dem SCP läuft es gut. In der Länderspielpause sprach der frühere deutsche Junioren-Nationalspieler Yalcin mit TM-Redakteur Philipp Marquardt über seine Entscheidung für die 2. Liga, seine Ausbildung und den besonderen Jahrgang beim VfB Stuttgart, Ellbogen im Profifußball, den „super Typ“ Lukas Kwasniok, die Rundumbetreuung in der Türkei, Unzufriedenheit mit sich selbst – und seinen ehrgeizigen Kumpel Joshua Kimmich.
Transfermarkt: Herr Yalcin, starten wir mit einem Sprung ins kalte Wasser mithilfe einer Frage aus unserer Community, die wir für das Interview mit ins Boot geholt haben: Sind Sie schuld daran, dass Bayerns Leistungsträger und Nationalspieler Joshua Kimmich nie im Profiteam des VfB Stuttgart gespielt hat? (Frage von TM-User „justalittlethought“)
Robin Yalcin: (lacht laut) Keine Ahnung, das müssen andere beantworten. Ich denke, ich war nicht der Alleinverantwortliche. Mit Rani (Khedira; d. Red.) gab es noch jemanden, der zum damaligen Zeitpunkt mit oben war. Wenn man es so sehen will, habe ich vielleicht eine kleine Teilschuld – sagen wir, eine unbewusste. (lacht)
Transfermarkt: Zur Aufklärung: Kimmich, heute wertvollster deutscher Spieler, fand 2013 keinen Platz im Drittliga-Team des VfB und wurde mit einer Rückkaufoption transferiert. Der damalige Sportchef Fredi Bobic meinte: „Wir hatten damals in der zweiten Mannschaft auf Kimmichs Position einen Stau, unter anderem mit den Talenten Yalcin und (Rani) Khedira, die vor ihm waren.“ Was hat Kimmich danach besser als Sie gemacht?
Yalcin: Er wollte eigentlich nicht unbedingt weg. Es war aber so, dass er keine Zukunft mehr beim VfB gesehen hat. Wir waren ziemlich gut befreundet und sind es immer noch. Er war bei mir im Zimmer und sagte, er geht nach Leipzig. Dann saßen wir zwei Minuten da und haben erst einmal gar nicht geredet (schmunzelt). Das war für mich ein Schock, aber gewissermaßen auch für ihn, weil er eigentlich gar nicht unbedingt vom VfB wegwollte. Für ihn war es aber einfach der richtige Schritt, bei RB Leipzig hat er es richtig gut gemacht. Und wenn du dann die Möglichkeit hast, zu den Bayern zu gehen, machst du diesen Schritt natürlich.
Transfermarkt: Wie haben Sie ihn konkret erlebt?
Yalcin: Was ihn schon immer ausgezeichnet hat: Er frisst einfach Gras. Bei Bayern oder generell im Fußballgeschäft musst du die Ellbogen ausfahren. Das hat er relativ früh verstanden. Wenn dich ein Weltklasse-Trainer wie Pep Guardiola will, ist das vermutlich auch nicht so verkehrt. Ob er etwas besser oder schlechter gemacht hat? Im Endeffekt zählt die Leistung, und die hat er gebracht. Er hatte womöglich den weltbesten Trainer als Förderer, aber die Schritte ist er dann auch selbst gegangen. Deswegen hat er seine Entwicklung gemacht, und davor muss man einfach den Hut ziehen.
Transfermarkt: Im März 2014 unterschrieben Sie ihren ersten Profivertrag in Stuttgart, kamen auf 35 Bundesliga-Minuten. Woran hat es Ihrer Meinung nach gelegen, dass Sie den Durchbruch nicht beim VfB geschafft haben? (Frage von VfB-Fan „Bilal1893“)
Yalcin: Wir hatten sportlich nicht die einfachste Situation und waren im Abstiegskampf. Trainer Thomas Schneider hat versucht, den Weg mit der Jugend zu gehen, hat Rani, mir und Timo Werner Minuten gegeben. Unter Bruno Labbadia war davon zuvor ehrlicherweise nicht so viel zu sehen. Leider sind die Ergebnisse unter Schneider ausgeblieben, irgendwann wurde die Reißleine gezogen. Mit Huub Stevens kam ein neuer Trainer, und dem Verein war es wichtig, die Liga zu halten. Es war dann nicht so, dass man auf Platz 8, 9 oder 10 den jungen Spielern Zeit geben konnte, sich zu entwickeln. Dazu kam bei mir ein Außenbandriss im Knie, was sein Übriges tat. Es gab beim VfB zu dieser Zeit wenig Kontinuität, der Trainer wurde häufiger gewechselt. Das hat es für uns Jungs damals leider nicht ganz leicht gemacht.
Yalcin sah beim VfB Stuttgart Ausnahmetalente wie Werner und Rüdiger
Transfermarkt: Konnten Sie als junger Spieler die tolle Entwicklung von Teamkollegen wie Kimmich, Werner, Antonio Rüdiger, Odysseas Vlachodimos und Serge Gnabry vorhersehen? (Frage von VfB-Fan „Pippoholic“)
Yalcin: Wenn man bei unserem 94er Jahrgang sieht, wie viele davon im Profigeschäft unterwegs sind… Normalerweise schaffen es nur zwei oder drei nach oben. In der Jugend sieht man so viele, die gut sind, aber am Ende bleiben wenige Ausnahmen wie Timo Werner, der schon in der A-Jugend mit 17 25 Tore schoss. Toni Rüdiger war ein Typ, der vielleicht ein bisschen angeeckt ist und immer seine Meinung gesagt und sich durchgebissen hat. Auch er spielt bei einem Top-Klub und hat eine mega Entwicklung gemacht. Aber schon in der Jugend vorherzusehen, wer einmal wo landen wird – das ist ein bisschen schwierig.
Transfermarkt: Schauen wir auf die Gegenwart: Nach sechs Jahren in der Türkei wollten Sie beim SC Paderborn laut Sportchef Fabian Wohlgemuth einen neuen Anlauf in Deutschland nehmen. Ist Ihr Plan bislang aufgegangen?
Yalcin: Das wird sich zeigen, was bis zum Ende der Saison alles passiert. Aber für den Moment habe ich mit dem Verein, den Jungs und dem Umfeld eine gute und die richtige Entscheidung getroffen. Nach neun Spieltagen 17 Punkte zu haben, ist nicht so verkehrt. Mit unserer Art und Weise, wie wir spielen, kann man auch nicht sagen, dass wir diese mit Glück geholt haben. Wir hatten überzeugende Auftritte auch gegen Mannschaften, die von ihren Möglichkeiten eigentlich an unserer Stelle positioniert sein müssten. Aber wenn du in Bremen, Dresden und am vergangenen Wochenende auch in Düsseldorf gewinnst, zeigt das, dass wir eine gewisse Qualität haben.
Transfermarkt: Warum wurde es ausgerechnet der SC Paderborn? Was war ausschlaggebend? (Frage von SCP-Fan „blond“ und „SCP-Tier“)
Yalcin: Das Gespräch mit Lukas Kwasniok, wenn ich ehrlich bin. Ich war vor Ort mit dem Gefühl: Ich höre mir das jetzt einmal an. Während des Gesprächs ist ein Funke übergesprungen und ich habe Bock auf die Geschichte bekommen, weil mir seine Art als Mensch und seine Idee vom Fußball haben mir sehr gefallen. Ich hatte auch schon Trainer, mit denen ich geredet habe, wo aber nichts hängengeblieben ist. Bei ihm war es anders. Darauf hatte ich Lust. Außerdem bin ich 27 und habe schon ein bisschen was erlebt. Ich versuche, den Jungs mit meiner Erfahrung zu helfen. Das tut auch mir in meinem Handeln enorm gut, diese Verantwortung zu tragen.
Transfermarkt: Was macht Lukas Kwasniok anders als andere Trainer, unter denen Sie gearbeitet haben? (Frage von SCP-Fan „Chris98SCP“)
Yalcin: Lukas ist ein super Typ, der das Herz auf der Zunge hat. Was er in einem Moment denkt, sagt er dir geradeaus. Das kommt authentisch rüber. Ich kann mit solchen Trainern einfach mehr anfangen als mit jenen, die um ein Thema herumreden. Bei seinen Ansprachen bleibt bei mir das Gefühl haften, dass wirklich eine Idee dahintersteckt und die Überzeugung da ist: Es wird am Wochenende funktionieren. Und: Ich bin ein Spieler, der ballbesitzorientiert ist – diese Philosophie hat er auch. Deswegen gefällt mir die Art, wie wir spielen und die Systeme bzw. einzelne Positionen umstellen. Das kommt generell bei der Mannschaft gut an.
Transfermarkt: Welche alternativen Angebote und Optionen hatten Sie im Sommer?
Yalcin: Konkrete Vereine will ich nicht nennen. Es hätte auch die Option gegeben, in der Türkei zu bleiben. Ich war mit einem Verein auch schon ziemlich weit, es ging um zwei Jahre in der Türkei. Mir war aber klar: Wenn ich das jetzt mache, bin ich mit Vertragsende 29 – dann brauche ich an die Bundesliga wohl nicht mehr großartig denken. Für mein Ziel, noch einen Angriff auf die Bundesliga zu starten, muss ich dieses Jahr voll durchpowern. Mit Anfang 30 wäre das schwer.
„Denkbar“: Yalcin schließt Verlängerung beim SC Paderborn nicht aus
Transfermarkt: Wie lange läuft Ihr neuer Mietvertrag denn? Ein Jahr oder länger?
Yalcin: (lacht) Das ist eine gute Frage, das regelt alles meine Frau. In der Vergangenheit gab es so viele Beispiele von Spielern oder Trainern mit Vierjahresverträgen, die nach drei Monaten wieder weg waren. Ich habe jetzt für ein Jahr unterschrieben. Du weißt nicht, ob du in zwei Monaten oder die nächsten vier Jahre noch hier bist. Es ist schwierig, zukunftsorientiert zu planen. Deswegen konzentriere ich mich auf die kommenden Aufgaben. Dann schauen wir, was am Ende dabei rumkommt.
Transfermarkt: Können Sie sich ein Engagement in Paderborn über das Saisonende hinaus vorstellen? (Frage von SCP-Fan „PBGalaxy1“)
Yalcin: Es ist denkbar. Im Fußball sollte man niemals nie sagen. Man weiß nie, was ist. Ohne jetzt den Aufstieg als Ziel ausrufen zu wollen: Angenommen, wir sind die Überraschungsmannschaft der Liga und steigen in die Bundesliga auf, oder ich fühle mich so wohl hier, dass ich gar nichts anderes machen will. Es könnte auch sein – Gott bewahre –, dass ich mich schlimmer für mehrere Monate verletzte und der Verein dann auf mich zukommt und sagt: Hey, wir sind für dich da und verlängern mit dir. Es gibt so viele Möglichkeiten und Richtungen. Es kann ja auch sein, dass Fabian Wohlgemuth am Saisonende zu mir sagt: Dich brauchen wir nicht mehr. (lacht)
Transfermarkt: Der SCP geht als starker Tabellendritter in die Länderspielpause. Was sind die Gründe für den guten Saisonstart?
Yalcin: Es haben nicht viele erwartet, dass wir auf diese Punktezahl kommen, weil die Mannschaft generell einen großen Umbruch mit einem neuen Trainerteam hinter sich hat. Deswegen musste man sehen, wie sich das entwickelt. Wir haben vier, fünf erfahrene Spieler, der Rest bringt ziemlich junges Blut mit – diese Mischung tut uns einfach gut. Die jungen Spieler sind lernwillig und nehmen das an, was von uns älteren, erfahreneren Spielern oder vom Trainer kommt. Wir haben uns gefestigt, mit guten Ergebnissen kommt das Vertrauen und eine gewisse Selbstverständlichkeit. Den Plan des Trainers setzen wir auf dem Platz gut um. Das liegt auch daran, dass es intern auf der zwischenmenschlichen Ebene funktioniert.
Transfermarkt: Worin äußert sich das?
Yalcin: Gestern hatten wir ein Teamevent, das von uns organisiert wurde. Wir waren beim Fußballgolf und anschließend gemeinsam essen. Solche Dinge sind förderlich für den gemeinschaftlichen Erfolg.
Bundesliga? Führungsspieler Yalcin will mit dem SCP das Maximum rausholen
Transfermarkt: Sehen Sie sich in Ihrer Rolle als gestandener Führungsspieler? (Frage von SCP-Fan „blond“)
Yalcin: Definitiv. Unabhängig davon, dass ich das von mir erwarte, wurde es am Anfang auch mit Fabian und Lukas besprochen, dass ich als Führungsspieler geholt werde. Der Rolle versuche ich gerecht zu werden. Das heißt nicht, sinnlos in der Gegend herumzuschreien. Es geht vielmehr darum, den Jungs in einzelnen Situationen zu helfen. Dass sie wissen, dass sie mit mir jemanden haben, dem sie die Kugel geben können, um durchzuschnaufen. Dieser Verantwortung bin ich mir bewusst und bin ich bisher, glaube ich, ganz gut nachgekommen.
Transfermarkt: Ist der SC Paderborn ein ernstzunehmender Aufstiegskandidat?
Yalcin: Dem Verein tut ein bisschen Kontinuität gut. In den letzten Jahren war es durchaus ein Auf und Ab. Wenn wir am 25. oder 26. Spieltag immer noch auf Platz zwei oder drei sind, wird es irgendwann unglaubwürdig, wenn du sagst, du willst es nicht bis zum Ende durchziehen. Ich bin generell jemand, der immer am Maximum sein will. Wenn das Maximum für uns der Aufstieg ist, sollten wir auch den Versuch wagen, danach zu greifen. Aber wir tun gut daran, den Moment zu genießen und uns Woche für Woche zu verbessern, weil wir auch beim Sieg in Düsseldorf bei weitem nicht an unserer Grenze gespielt haben. Wir haben definitiv noch an einigen Stellschrauben zu drehen, sind weit davon entfernt, perfekt zu spielen. In dieser 2. Liga musst du immer dein Maximum abrufen.
Transfermarkt: Welche Vorteile und Stärken hat Ihr Team gegenüber namhaften Vertretern wie Schalke, Werder und dem HSV? Dort ist der Erfolgsdruck bekanntermaßen etwas größer…
Yalcin: Ja, klar. Bei uns sagt von außen nicht unbedingt jemand, dass wir aufsteigen müssen.
Transfermarkt: Am häufigsten haben Sie in Ihrer Karriere im defensiven Mittelfeld und in der Innenverteidigung gespielt. Zuletzt waren Sie aber als Rechtsverteidiger im Einsatz. Wie kommen Sie mit dieser Rolle zurecht?
Yalcin: Es ist keine Position, die Neuland für mich ist. Natürlich fühle ich mich im Zentrum am wohlsten, aber ich bin hinten rechts nicht auf verlorenem Posten, mache das ordentlich. Ich denke, ich kann meine Stärken im Zentrum besser als auf der Seite ausspielen, aber es funktioniert bisher ganz gut, habe hinten rechts auch im vergangenen Jahr für Sivasspor mehrere Spiele gemacht. Ich kann mich damit arrangieren, das ist überhaupt kein Problem. Wenn es für das Team und gegen einen bestimmten Gegner besser ist, nehme ich das definitiv an und gebe alles.
Transfermarkt: Wie unterscheiden sich die Bedingungen für den Fußball in der Türkei von denen in Deutschland? (Frage von „foo_foo“)
Yalcin: Jeder Verein in der Türkei hat ein eigenes Trainingszentrum – in dem wirklich alles zu finden ist. Und jeder Spieler hat da sein eigenes Zimmer. Vor den Heimspielen bist du mit dem Team dort und übernachtest. In Paderborn schläft jeder vor den Heimspielen bei sich zuhause. Wenn meine Frau einmal nicht zuhause war, blieb ich in der Türkei im Trainingszentrum, weil es Frühstück, Mittag- und Abendessen gab, quasi eine Rundumbetreuung, bei der man sich um nichts kümmern musste. Teilweise ist das schon übertrieben. In der Türkei gab es allein vier Leute nur für die Massage, das ist schon extrem. Eigentlich musst du dort nur deine Fußballschuhe schnüren und trainieren, du rührst keinen Finger. In Deutschland muss oder sollte man sich um gewisse Dinge selbst kümmern, was ich auch gut finde.
Transfermarkt: Was war Ihre kurioseste Erfahrung in sechs Jahren Türkei?
Yalcin: Es gibt coole und weniger coole Sachen und solche, über die du schmunzeln musst. Die Leute sind herzlich und sterben für den Fußball. Wenn es erfolgreich läuft, kann es schon mal sein, dass du umsonst essen gehst. Wenn es nicht so läuft, kann es sein, dass du fünf Minuten in der Mall stehst und dich rechtfertigen musst. In Deutschland ist es nicht so extrem, dass du von zehn Leuten angesprochen oder belagert wirst, wenn du privat unterwegs bist. Es hat alles seine Vor- und Nachteile.
Yalcin war früher „zu brav“ – Aus Unzufriedenheit Wechsel zurück nach Deutschland
Transfermarkt: Was unterscheidet den 27 Jahre alten Robin Yalcin von heute eigentlich vom früheren Stuttgarter Talent?
Yalcin: Ich bin dankbar, jeden Morgen für das Training aufzustehen und für den Rest des Tages bei meiner Familie zu sein. Wir Fußballprofis haben es recht entspannt im Vergleich zu Leuten, die um 8 Uhr zur Arbeit müssen und um 18, 19 Uhr wieder zurückkommen. Ich war zu Beginn meiner Karriere aber ein bisschen zu brav. Es ist nicht förderlich für dich, wenn du das bist. Ich habe gelernt, dass man auf dem Platz auch die Ellbogen ausfahren muss. Am Ende des Tages ist es ein Mannschaftssport und Konkurrenzkampf, in dem dir nichts geschenkt wird. Es wird nie jemand zu dir sagen: ‚Ich finde dich so cool, deshalb bleibe ich für dich draußen.‘ Diese Art habe ich mir vielleicht zu spät angeeignet. Ich bin zu wenig angeeckt und habe womöglich zu wenig auf mich aufmerksam gemacht. Es ist schwierig, wenn du den braven Jungen gibst. Natürlich darf man nie den Respekt und die Demut verlieren – egal ob du 20 oder 34 bist. Das will ich immer beibehalten.
Transfermarkt: Wir stellen die These auf: In der kommenden Saison 2022/23 spielen Sie auf jeden Fall bei einem Erstliga-Klub – entweder bei einem Aufstieg weiter in Paderborn oder woanders. Richtig oder falsch?
Yalcin: Ich hoffe doch. Ich wäre nicht zurück nach Deutschland gekommen, hätte ich nicht den Glauben daran. Ich weiß um meine Fähigkeiten und bin mit der Zeit gereift, habe das in mir drin. Ich habe 137 Süper-Lig-Spiele bestritten und internationale Erfahrungen gesammelt, das macht man nicht im Vorbeigehen. Ich habe in der Türkei nicht sechs Jahre Urlaub gemacht. Wer sagt, die Liga hätte kein Niveau, soll sich die Spiele dort erst einmal anschauen, weil sie sich mit Blick auf das Tempo extrem weiterentwickelt hat, es geht zudem körperbetont zu. Viele türkische Klubs sind international vertreten. Das taktische Niveau muss bei manchen Teams vielleicht noch besser werden.
Transfermarkt: Wie bewerten Sie den bisherigen Verlauf Ihrer Profikarriere? Wäre sogar mehr drin gewesen? (Frage von VfB-Fan „mv-marci“)
Yalcin: Mein Wechsel zurück nach Deutschland zeigt, dass ich nicht so zufrieden bin. Wäre ich mit mir zufrieden gewesen, hätte ich gesagt: Ich bleibe in der Türkei, verdiene dort bis 35, 36 mein Geld und fertig. Am Anfang meiner Karriere ging es nach oben, dann kam unter anderem eine Verletzung dazwischen, hinzu kamen der Druck und Differenzen beim VfB, was meine Zukunftsplanung und eigenen Leistungen angeht. Für das Potential, das ich in mir drin hatte, ist es mit 27 definitiv zu wenig, da rede ich nichts schön. Vor sechs Jahren sollte es aus diversen Gründen nicht sein. Aber ich bin ehrgeizig und will den Leuten und auch mir beweisen, dass ich den gewünschten Step machen kann – wenn auch mit Verspätung. Das bin ich mir schuldig. Der Hunger und Wille danach sind so groß, dem ordne ich alles unter. Wenn der Step geschafft ist, will ich mich aber auch danach nicht ausruhen.
Transfermarkt: Haben Sie bereits Pläne für die Zeit nach der Karriere? (Frage von „foo_foo“)
Yalcin: Wie gefühlt jeder möchte ich im Fußball bleiben. (lacht) Eine Tätigkeit als Berater oder Sportdirektor würde für mich eher nicht infrage kommen, weil mir das zu weit weg vom Geschehen ist. Ich tendiere dazu, selbst Trainer zu werden, weil ich eine gute taktische Auffassung habe. Ich könnte mich definitiv damit identifizieren. Das ist eine Grundidee, ohne zu sagen: Ich mache das auf jeden Fall. Aber ich kann es mir bislang am meisten vorstellen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf transfermarkt.de
Autor: PhilippMrq