Seit einigen Jahren rennt Trabzonspor der Form aus der Saison 2011 hinterher. Teure Transfers außerhalb des vorgegebenen Budgets, verknüpft mit mehreren erfolglosen Spielzeiten, die im Niemandsland der Tabelle beendet wurden. Trabzonspor wurde nahezu in die Insolvenz getrieben. In einer Stadt, die den Fußball lebt, konnten sich die Fans nicht mehr mit ihrem Klub identifizieren. Die Ränge im ehemaligen Hüseyin Avni Aker-Stadion und anschließend im Medical Park-Stadion blieben größtenteils leer. Im April 2018 übernahm schließlich Neupräsident Ahmet Agaoglu das Ruder an der Schwarzmeerküste. Sein Versprechen war es, die Vereinsphilosophie dahingehend zu ändern, dass wieder vermehrt Spieler aus der eigenen Jugend zum Zuge kommen. Vermeintliche „Stars“, die viel Geld kosten, doch kaum Leistung bringen, waren tabu. Es sollte eine Mannschaft geformt werden, die das Stadion wieder füllt und die Identifikation mit den Fans wiederherstellt. Dazu brauchte es zunächst einen passenden Trainer, der aus dem Team mit geringen Mitteln das Beste rausholen sollte. Zur Überraschung aller entschied sich Präsident Agaoglu für Ünal Karaman, der den Verein zwar bestens kennt, doch als Trainer kaum Erfolge vorweisen konnte. „Wir waren auf der Suche nach einem Trainer, der Seite an Seite mit uns kämpft. Daher haben wir uns für Ünal Karaman entschieden, den ich seit 1992 kenne und der diese Charaktereigenschaften vorweisen kann. Er kommt dem Verein auch aus finanzieller Sicht zugute.“ Mit diesen Worten rechtfertigte Klubpräsident Agaoglu die Entscheidung des Vorstands.
Ünal Karaman erhält nicht viel Zuspruch
Die Verkündung des Nachfolgers von Ex-Trainer Riza Calimbay sorgte für wenig Begeisterung bei den Fans. Zwar genießt der 52-Jährige aufgrund seiner Zeit als aktiver Fußballer Legendenstatus bei den Fans und dem Verein. Doch bis zu diesem Alter war seine Trainerkarriere nicht von Erfolgen gekrönt. In seinen bisherigen sieben Stationen stand Karaman lediglich bei Adana Demirspor über eine volle Saison hinweg an der Seitenlinie. In Adana hatte der ehemalige Mittelfeldmotor auch seine erfolgreichste Zeit, als er den ambitionierten Klub in die Playoffs für die Aufstiegsrunde führte. Dort war aber im Halbfinale Schluss. Nach der Saison trennten sich die Wege und Karaman heuerte für jeweils kurze Phasen bei Sanliurfaspor in der zweiten türkischen Liga und danach bei Karabükspor in der Süper Lig an, deren Abstieg jedoch besiegelt war. Ob er den mit günstigen und vergleichsweise unbekannten Spielern aufgestockten Kader zum Erfolg führen kann, war für viele zweifelhaft.
Erhebliche Probleme nach überragender Hinrunde
Seine kämpferische Eigenschaft stellte Trainer Karaman früh unter Beweis. Problemkind Burak Yilmaz und der etablierte Kapitän Onur Kivrak machten dem 52-Jährigen jedoch zu schaffen. Beide Spieler leisteten sich Disziplinlosigkeiten und wurden vor dem wichtigen Derby gegen Fenerbahce suspendiert, nachdem es eine herbe 0:5-Pleite bei Evkur Yeni Malatyaspor setzte. Keine einfache Entscheidung, da beide Spieler großen Rückhalt von den Fans genossen haben. Als ein Trainer, der bis dato keinen großen Zuspruch bekam, war dies ein mutiger Schritt. Doch hier begann der Wendepunkt für die Bordeauxrot-Blauen. Es rückten mehr Nachwuchskicker in den Kader und die Mannschaft zeigte mehr Teamgeist als zuvor. Der frischgebackene Kapitän Jose Sosa übernahm die Führung auf dem Platz und führte als rechte Hand des Trainers das Team zu vier Siegen in den restlichen fünf Hinrundenspielen. Damit ergatterte sich Karaman in seinem ersten Jahr die Vize-Herbstmeisterschaft.
Fans stellen sich wieder hinter die Mannschaft
Die Fans füllten wieder das Stadion und die Mannschaft zeigte im Gegenzug attraktiven Fußball. Erzrivalen wie Galatasaray und Fenerbahce wurden zu Hause besiegt (4:0 und 2:1), gegen Besiktas musste man sich mit einem Remis (2:2) zufrieden geben. Für Agaoglu und Co. schien alles perfekt zu laufen. Nach der Hinrunde fielen jedoch Leistungsträger wie Ogenyi Onazi und Jose Sosa aufgrund von Verletzungen langfristig aus. Vahid Amiri und Majid Hosseini nahmen am Asien-Pokal teil und fehlten der Mannschaft. Als wäre das nicht genug, verhängte die UEFA aufgrund der Missführung der ehemaligen Klubpräsidenten eine Transfersperre gegen Trabzonspor. In den ersten Wochen der Rückrunde verletzten sich weitere Leistungsträger wie Ugurcan Cakir, Joao Pereira, Filip Novak und Abdülkadir Ömür, was die schlechte Atmosphäre weiter vertiefte.
Karaman findet Lösungen
In der türkischen Süper Lig waren bereits einige Klubs in der Vergangenheit von diesem Schicksal betroffen. Meistens nahm die Geschichte im Rücktritt des Trainers, dem Abstieg und einem finanziellen Desaster ein Ende. Karaman beschwerte sich vor laufenden Kameras nie über die Situation im Team. Es stand ihm nahezu kein Leistungsträger zur Verfügung. Teilweise konnte kein 18-Mann-Kader gestellt werden. Der 52-Jährige integrierte talentierte Nachwuchsspieler in die Mannschaft, hatte aber kaum Alternativen, um in das Spielgeschehen einzugreifen. Einige Spiele wurden ohne Spielerwechsel beendet. Dennoch stellte sich die Situation als Chance für den Verein und die Spieler heraus. Als es beispielsweise einen Mangel an defensiven Mittelfeldspielern gab und mit Batuhan Artarslan ein gelernter Spieler für diese Position nicht überzeugen konnte, zauberte Karaman mit Abdülkadir Parmak einen gelernten Flügelspieler hervor. Der bisher selten berücksichtigte 24-Jährige spielte groß auf und machte nicht nur die eigenen Fans auf sich aufmerksam.
Trabzonspor liefert für den türkischen Fußball
Karaman hatte nach der Suspendierung von Onur Kivrak dem 22-Jährigen Ugurcan Cakir und in der Abwehr dem damals 20-jährigen Hüseyin Türkmen vertraut. Als Ugurcan Cakir ausfiel, stellte er den 18-jährigen Arda Akbulut in den Kasten. Entgegen des bisher bekannten Trainerbildes in der Türkei, bewies der ehemalige Mittelfeldspieler ein gutes Gespür und brachte somit Talente zum Vorschein, die in den nächsten Jahren nicht nur Trabzonspor, sondern zweifellos auch dem türkischen Fußball helfen werden. Dies wird nachhaltige Wirkungen haben, da vor allem an der Schwarzmeerküste die jungen Spieler einen Motivationsschub erhalten haben. Bringen sie Leistung, werden sie für den Kader berücksichtigt. So stellte Karaman nicht nur die Verbindung zwischen dem Team und den Fans wieder her, sondern belebte die seit Jahren nicht fruchtende Jugendabteilung wieder.
Ünal Karaman stimmt seine Kritiker um
Für einen Verein, das innerhalb einer Saison mit derart vielen Problemen zu kämpfen hatte, ist diese Qualifikation für die Europa League nicht selbstverständlich. Eine Spielzeit, die gleichzeitig wie ein Märchen und ein Horrorfilm für Trabzonspor verlief. Doch in der Hauptrolle war Ünal Karaman, der seinen Verein nicht nur über Wasser hielt, sondern mit geringen finanziellen Mitteln lange um die oberen Tabellenplätze mitspielte. Der 52-Jährige ist nach Senol Günes der erste Coach bei den Bordeauxrot-Blauen, der in einer Saison alle drei Erzrivalen aus Istanbul bezwingen konnte. Ein Trainer, der seine Kritiker innerhalb einer Saison dermaßen umstimmen kann, hat große Anerkennung verdient. Grundsätzlich wird der Meistertrainer in jeder Liga zum Trainer des Jahres gewählt. Ünal Karaman hat jedoch trotz der genannten Umstände durch Ehrgeiz und Mut viel erreicht und diese Auszeichnung meines Erachtens nach mehr als verdient.