„Unsere Fans sollen ruhig und besonnen bleiben. Uns erwartet ein sehr schönes Happy End“, sagte Abdullah Avci, Trainer von Trabzonspor, im vergangenen Februar über den Ausgang der Meisterschaft in der türkischen Süper Lig. Zum damaligen Zeitpunkt stand der Klub von der Schwarzmeerküste mit komfortablem Abstand an der Spitze und steuerte in Richtung erster Meisterschaft seit 1984. Rund zwei Monate später ist klar, dass Avci mit seiner Aussage recht behalten sollte. Nach dem 2:2 gegen Antalyaspor am Samstag ist Trabzonspor nicht mehr einzuholen und steht vorzeitig nach 35 Spieltagen als Meister fest.
„Es ist eine außergewöhnliche Saison“, sagt Stürmer Emrehan Gedikli (19) im Gespräch mit Transfermarkt. Der gebürtige Oberhausener war in der vergangenen Transferperiode für 800.000 Euro Ablöse von Bayer 04 Leverkusen zu Trabzonspor gewechselt, wo er einen Vertrag bis 2026 unterzeichnete. Der deutsche Junioren-Nationalspieler wartet zwar noch auf sein Debüt für den neuen Klub, aber die Vorfreude der Fans auf die erste Meisterschaft seit 38 Jahren ist an ihm nicht vorbeigezogen. „Um einen herum ist alles Rot und Blau, die Menschen in dieser Stadt leben für den Verein“, sagt der Angreifer und berichtet von Bushaltestellen, die aussehen wie die Auswechselbänke im Stadion, und Ampeln mit der Aufschrift „Dieses Jahr ist es soweit“. Dass das gebührend gefeiert wird, dessen ist sich Gedikli sicher. „Die Menschen hier haben seit über 35 Jahren keine Meisterschaft gesehen und werden deshalb so feiern, dass das ganze Land auch in 35 Jahren noch darüber sprechen wird“, sagt er.
Dabei war vor dem Saisonbeginn nicht damit zu rechnen, dass es am Ende so deutlich werden würde und Trabzonspor drei Spieltage vor Schluss einen Vorsprung von neun Punkten auf Platz zwei hat. Der Verein landete in der vergangenen Saison hinter den Istanbuler Top-Klubs Besiktas, Galatasaray und Fenerbahce auf Rang vier und festigte einmal mehr seinen Status, einer der ersten Verfolger des Trios zu sein. In der Sommer-Transferperiode legte Trabzonspor den Fokus überwiegend auf ablösefreie Neuzugänge und gab lediglich für Andreas Cornelius (29) und Manolis Siopis (27) Geld aus.
Ein Großteil der neuen Spieler war bereits vor dem Liga-Start im vergangenen August im Verein und konnte die Vorbereitung mitmachen, was „Früchte trägt“, wie Lara Karacan, Lead of Content bei Transfermarkt Türkei, sagt. So blieb Trabzonspor in den ersten 15 Liga-Spielen ohne Niederlage und konnte bereits einen komfortablen Abstand zum Tabellenzweiten aufbauen. Derweil schafften es insbesondere die drei Istanbuler Top-Klubs nicht, Anschluss zu halten. Zwischenzeitlich sah es gar so aus, als würde erstmals seit der Einführung der Süper Lig 1959 keiner dieser Vereine zu den Top-3 gehören. „Trabzonspor hat ein Auto das 180 fahren kann und sie fahren 180. Die anderen haben ein Auto das 200 fahren kann, aber sie fahren 120“, beschrieb der ehemalige Profi und frühere Nationalspieler Ridvan Dilmen im vergangenen Jahr die Situation.
„Es hat Trabzonspor in die Karten gespielt, dass in dieser Saison gleich alle großen Istanbuler Klubs so geschwächelt haben“, sagt auch Türkei-Expertin Karacan. „Es war aber nicht nur eine erfolgreiche Saison, weil die anderen Drei unterperformt haben, sondern weil Trabzonspor auch überperformt hat.“ Zugute kam dem Team auch, dass auf internationaler Ebene bereits in der Qualifikationsrunde der Conference League gegen die AS Rom Schluss war, während die Istanbuler Top-Vereine in der Europa League und Champions League mindestens die Gruppenphase spielten.
So ist der Schwarzmeer-Klub aktuell mit 30 Gegentoren für den Bestwert der Liga verantwortlich und stellt zudem mit 65 Treffern die zweitbeste Offensive nach Fenerbahce. „Unser Spiel ist darauf ausgelegt, über schnelle Wege zum Tor zu kommen“, erklärt Sturmtalent Gedikli. „Zudem versucht jeder Spieler, die Fehler des anderen auszubügeln, wodurch eine kompakte Defensive entsteht.“ In den abschließenden Partien hat Trabzonspor noch die Möglichkeit, gemessen an der Punkteausbeute eine der besten Saisons in der Historie der Süper Lig zu spielen. Seit der Rekordspielzeit 1988/89 von Fenerbahce mit 93 Punkten und u.a. Toni Schumacher im Kader, war es keinem Team mehr gelungen, mehr als 85 Zähler zu sammeln. Trabzonspor würde mit drei Siegen im Endspurt 88 Punkte erreichen.
Trabzonspors Top-Scorer Nwakaeme vor Absprung? Fenerbahce wohl interessiert
Inwieweit eine solche Erfolgsgeschichte in der kommenden Saison zu wiederholen wäre, hängt vor allem davon ab, ob umworbene Leistungsträger gehalten werden können. Zumindest bereiten die Vertragssituationen der Spieler den Verantwortlichen keine Kopfschmerzen, da nach dieser Saison lediglich die Leihen von Tymoteusz Puchacz (23) und Stefano Denswil (28) sowie das Arbeitspapier von Anthony Nwakaeme (33) enden. Letztgenannter ist jedoch mit 23 Torbeteiligungen in wettbewerbsübergreifend 32 Einsätzen der beste Scorer im Team und wird mit einem Wechsel zu Fenerbahce in Verbindung gebracht.
Auch gibt es Gerüchte rund um einen Abschied von Torwart und Kapitän Ugurcan Cakir (26), der mit einem Marktwert von 18 Millionen Euro der wertvollste Profi der Liga ist. Im jüngsten Update der Süper Lig zählte der türkische Nationalspieler zu den Gewinnern, als er ein Plus um eine Mio. Euro verbuchte. An ihm soll u.a. Newcastle interessiert sein. „Er ist der wichtigste Spieler der Mannschaft“, sagt Karacan. „Er wollte schon im vergangenen Sommer gehen, konnte aber gehalten werden. Es wird spannend, ob er aufgrund der möglichen Teilnahme an der Champions League weiterhin im Klub bleibt.“
Trabzonspor-Talent Gedikli will „noch in dieser Saison für Aufsehen sorgen“
Mitspieler Gedikli sieht derweil als wichtig an, „dass unsere Mannschaft sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten eine Mannschaft bleibt. Wir sind wie eine Familie, wir stehen und fallen zusammen und haben immer unser großes Ziel vor den Augen. Wenn wir das beibehalten, dann werden wir auch nächste Saison wieder erfolgreich spielen.“
Spätestens dann soll auch er die Möglichkeit haben, sich zeigen zu können. „Bei den Gesprächen mit dem Trainer wurde mir gesagt, dass ich nach dem Gewinn der Meisterschaft meine Chancen bekommen werde. Mein Ziel ist es, noch in dieser Saison für Aufsehen zu sorgen und vielleicht das eine oder andere Tor zu schießen“, sagt der Angreifer. „Richtig losgehen wird es aber erst zur nächsten Saison.“ Dann müsste in Trabzon an den Ampeln der Aufschrift „Dieses Jahr ist es soweit“ eventuell ein „wieder“ zwischengeschoben werden.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf transfermarkt.de
Autor: Pascal Martin