Trabzonspor hat das neue Vereinsgelände für die Jugend, die „Özkan Sümer Fußball-Akademie“ fertiggestellt. Als erster Gast wurde das regionale Nachrichtenportal „61saat“ begrüßt. In dem neuen Gelände befinden sich u.a. sechs Klassenräume, 159 Büros für die Trainer, Zimmer mit insgesamt 109 Betten sowie Fitnessräume. Nachwuchskoordinator Hamit Cihan erklärte gegenüber Journalist Hasan Tüncel, wie die Abläufe in der neuen Fußball-Akademie sind und wie das Leben als Nachwuchskoordinator aussieht. Außerdem sieht der 57-Jährige in der Reserve-Liga den Ausweg aus der Krise für den türkischen Fußball.
„Drei Haupttätigkeiten im Jugendbereich“
Cihan sieht das Scouting, die Weiterentwicklung und die Einbindung der Spieler in das Profiteam als seine Haupttätigkeiten an: „Wir haben in den Kategorien im Alter von neun bis 19 Jahren in jeder Mannschaft jeweils 25 Spieler. Wir scouten und verpflichten Spieler, von denen wir denken, dass sie über das nötige Talent verfügen, um eine entsprechende Entwicklung hinzulegen. Im zweiten Schritt versuchen wir ihnen eine moderne Ausbildung zu vermitteln. Wenn in einem der ersten beiden Schritte Fehler gemacht werden, ist es nahezu unmöglich, aus dem Spieler einen Profi zu machen. Nehmen wir mal an, wir haben einen sehr talentierten Fußballer in unser Team geholt. Ohne eine Ausbildung auf internationalem Niveau kann aus dem Spieler kein Profi werden. Daher stellt die Verpflichtung von neuen Spielern einen langwierigen Prozess dar. Es handelt sich nicht um eine spontane Entscheidung.“
„Die Jugendtrainer werden mit großer Sorgfalt ausgewählt“
Der 57-Jährige erklärt, dass sie im Nachwuchsbereich nicht nur Spieler, sondern auch Trainer ausbilden möchten. „Dank internen und externen Hilfen stehen uns Fortbildungsmethoden zur Verfügung, die unseren Trainern bei Ihrer Entwicklung durchaus weiterhelfen. In unseren wöchentlichen Meetings diskutieren wir über die Recherche-Ergebnisse der Themen, die unsere Trainer in der Woche zuvor festgelegt haben. Wir diskutieren über neue Trainingsmethoden oder wie die Strukturen des modernen Fußballs für unsere Jugend genutzt werden könnten. In diesen Themenbereichen veranstalten wir regelmäßig Seminare. Meines Erachtens ist es heutzutage wichtig, dass ein Trainer mindestens eine Fremdsprache auf einem bestimmten Level beherrscht. Dafür sind wir ihnen behilflich. Im Anschluss zeigen wir ihnen den Umgang mit der Technik in Form von Programmen, die bestimmte Werte liefern. Wir erklären den Trainern, wie sie diese Werte interpretieren können. Die meisten sind im Hinblick darauf sehr motiviert. Wir wählen unsere Jugendtrainer mit großer Sorgfalt aus. Dabei lautet meine Philosophie Trainer ins Boot zu holen, die als Profi bei Trabzonspor aktiv waren oder lange Jahre in den regionalen Amateurligen Erfahrungen gesammelt haben.“
„Özkan Sümer war ein unbeschreiblicher Mensch“
Für den mittlerweile verstorbenen Ex-Klubboss und Trainer von Trabzonspor fand Cihan ausschließlich positive Worte. „Ihn zu beschreiben ist sehr schwierig. Er war der Vereinspräsident von Trabzonspor und hat dem türkischen Fußball in allen Bereichen mit Erfolg gedient. Ich begrüße es sehr, dass dieses Vereinsgelände nach ihm benannt wurde. Für mich ist es wichtig, seine Denkweise, seine Ansichten und Fußballphilosophie weiterleben zu lassen. Er war in dieser Hinsicht einer der Besten. Jemand, den sich jeder in seinem Verein wünscht. Für mich ist klar, dass Özkan Sümer niemals ersetzt werden kann. Er war ein unbeschreiblicher Mensch.“
„Ich bin ein Wissenschaftler“
Sich selbst beschreibt der Nachwuchskoordinator als Trainingswissenschaftler. Cihan hat dabei keine Ambitionen als Trainer zu arbeiten. „Ich kann mich selbst als Wissenschaftler für Trainingsmethoden beschreiben. Ein Trainerjob schwebt mir nicht hervor. Ich präferiere es eine Tätigkeit auszuüben, die meiner absolvierten Ausbildung entspricht. Derzeit bin ich bei Trabzonspor und habe einen ehrenwerten Job. Es macht mich stolz, denn junge Spieler auszubilden ist für die Stadt und für unser Land ein großer Dienst. Grundsätzlich ist es in unserem Land problematisch, junge Spieler auszubilden. Das müssen wir ändern. Das System kann mit ständigen Transfers und hohen Ablösesummen nicht nachhaltig am Leben bleiben. Früher oder später kommt es zu Engpässen, was wir in unserem Verein auch erlebt haben. Daher müssen wir den Schwerpunkt auf die Jugend legen.“
„Die Lösung ist die Reserve-Liga“
Den Ausweg aus der Krise für den türkischen Fußball sieht der 57-Jährige in der Gründung von zweiten Mannschaften. „Das Integrieren von Jugendspielern in die Profiteams ist das größte Problem im türkischen Fußball. Beispielsweise ist die U19 von Trabzonspor in der vergangenen Saison Meister geworden, doch wo sind diese Spieler jetzt ? Von 25 sind zwei bei den Profis, wo ist der Rest ? Wie haben die anderen Länder dieses Problem gelöst ? Durch die Gründung von zweiten Mannschaften und deren Platzierung in den Profiligen. Dabei ist zu beachten, dass die bisherigen Methoden in Form von Spieler verleihen, ein Pilot-Team zu kaufen oder auch die U21 nicht gefruchtet haben. Die Gründung von 1461 Trabzon war ein tolles Projekt, doch es ist von der Bildfläche verschwunden. Mein Lösungsvorschlag ist die Gründung einer B-Liga mit der entsprechenden Bezeichnung. Dort muss der Teamname ‚Trabzonspor-B‘ stehen. Der Wechsel vom B-Team zu den Profis oder umgekehrt sollte in diesem Rahmen auch außerhalb des Transferfensters ermöglicht werden. Unser Klubboss Ahmet Agaoglu ist mit diesem Vorschlag beim Fußballverband vorstellig geworden, dafür möchte ich ihm danken. Bedauerlich nur, dass der Verband nicht mitgemacht hat.“
„Abdullah Avci war uns sehr behilflich“
Bei der Einrichtung des Vereinsgeländes stand Trabzonspor-Trainer Abdullah Avci dem Nachwuchskoordinator mit Rat und Tat zur Seite. „Er ist ein Trainer, der seine ersten Tätigkeiten im Jugendbereich hatte. Daher kommuniziert er regelmäßig mit uns und teilt gerne seine Zeit und Gedanken. Besonders beim Kauf der Fitnessgeräte hat er sich persönlich eingesetzt und Empfehlungen ausgesprochen. Dank seinen Empfehlungen sind die Jugendspieler bestens ausgestattet und können auf hohem Niveau trainieren. In der kommenden Woche werden wir mit ihm ein Meeting halten. Ich werde ihn über die hier verrichtete Arbeit informieren. Wir haben mittlerweile eine gute Kommunikation mit Avci, was meinem Freund und Kollegen Turgut Kural zu verdanken ist. Er hat den Kontakt hergestellt und uns zum nächsten wichtigen Schritt verholfen.“
„Die Disziplin kommt an erster Stelle“
Cihan weist auf die Wichtigkeit der Disziplin im Jugendbereich hin und erklärt, dass die Spieler um 22:00 Uhr ihre Handys ausschalten müssen. „Wir möchten, dass unsere Jugendspieler mit einer gewissen Disziplin aufwachsen. Allerdings haben sie ein Leben als Schüler und als Fußballer. Da darf auch die Freizeit nicht zu kurz kommen. Daraus resultieren die Themen Arbeit, Regeneration und Ernährung, welche immer im Einklang stehen müssen. Wir haben zehn Dozenten bei uns. Mathematiker, Naturwissenschaftler, Biologen, Sozialwissenschaftler sowie Türkisch- und Englischlehrer unterrichten in unserer Akademie. In meinem internationalen Netzwerk mit Nachwuchskoordinatoren habe ich ständig gesagt bekommen, dass besonders talentierte Spieler zusätzlich Mathematik-Unterricht bekommen. Dies fördert das schnelle Denken und die Geschwindigkeit der Prozesse im Gehirn, was gut auf den Platz übertragbar ist. Daher legen wir mittlerweile großen Wert auf Mathematik. Die Spieler müssen um zehn Uhr ihre Handys ausschalten oder am Tag mindestens eine Stunde lesen und anschließend schlafen.“
„Alle Vereine dieser Region sind Teil unserer Arbeit“
Der 57-Jährige sieht abschließend jeden Verein der Region als Teil der Nachwuchsarbeit. „Um unsere Fehlerquote zu reduzieren, wählen wir die Spieler von unseren umliegenden Vereinen aus. Das ist für uns wichtig, da diese Spieler bereits aktiv sind. So können wir sie beobachten, sei es einen Monat oder ein Jahr und im Anschluss eine Entscheidung fällen. Wenn man einen Spieler verpflichtet, aber nach ein bis zwei Jahren wieder wegschickt, hat man einen Fehler gemacht. Daher vertrauen wir auf die Vereine in der Region. Wir pflegen seit vielen Jahren eine gute Zusammenarbeit. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit den Träumen der Kinder spielen.“