Man erinnert sich noch gut an die ‚Invincibles‘, das Team des FC Arsenal, das die gesamte Saison 2003/04 der englischen Premier League ohne eine einzige Niederlage absolvierte. Viel zu wenig Beachtung wird allerdings oftmals dem Beitrag geschenkt, den damals die Youngster in Arsenals Kader an diesem Erfolg hatten.
Einer davon war der gerade 18-jährige Gael Clichy, der in zwölf Premier-League-Spielen als Linksverteidiger den verletzten Ashley Cole ersetzte. Er war damals der jüngste Spieler, der je eine Meistermedaille in der Premier League bekam. Diesen Rekord hat mittlerweile Phil Foden von Manchester City übernommen.
Clichy hat in den folgenden Jahren viele weitere Erfolge erreicht und noch mehr Fussballgeschichte geschrieben. Er gewann die Premier League mit Manchester City noch zwei weitere Male und wurde jüngst mit Istanbul Basaksehir erstmals auch Meister in der türkischen Süper Lig. FIFA.com traf sich mit ihm zu einem ausführlichen Gespräch über die Bedeutung dieses Titels, den Einfluss der ‚Invincibles‘ auf den weiteren Verlauf seiner Karriere und seine Pläne, sich nach seiner aktiven Karriere als Trainer zu versuchen.
FIFA.com: Gael, Sie erleben gerade einen sehr interessanten Abschnitt Ihrer Karriere. Sie haben die türkische Liga mit Basaksehir gewonnen. Das ist ein wahrlich historischer Moment für den Klub und für den gesamten türkischen Klubfussball. Wie war es, dabei eine so wichtige Rolle zu spielen?
Gael Clichy: Sicher kann man diese Erfahrung nicht mit denjenigen bei Arsenal oder Manchester City vergleichen, denn die Premier League ist die Premier League und gilt als eine der besten Ligen der Welt, wenn nicht sogar die allerbeste. Doch was meinen persönlichen Beitrag angeht, war es wirklich toll. Der Klub ist ja erst wenige Jahre alt. Seit 1959 haben in der Türkei lediglich fünf verschiedene Klubs den Titel gewonnen. Wenn es irgendwo Klubs gibt, die eine Liga beherrschen, dann wohl in der Türkei. Für uns war es fantastisch, diesen Erfolg zu schaffen und Meister zu werden. Das ist einfach herausragend. Und es entspricht dem Willen des Klubs, sich von Jahr zu Jahr zu steigern. Ich spiele jetzt seit drei Jahren hier. Im ersten Jahr wurden wir wegen der Tordifferenz Dritter. Im vergangenen Jahr hätten wir es fast geschafft und wurden am Ende Vizemeister. Der logische nächste Schritt war also, in diesem Jahr die Meisterschaft zu gewinnen.
Wie bedeutsam ist es, dass die Dominanz der drei großen Klubs Galatasaray, Fenerbahçe und Besiktas nun durchbrochen wurde und Ihr Klub erstmals den Titel geholt hat?
Vielen Leuten ist wohl nicht klar, wie viel das wirklich bedeutet. Die Türkei ähnelt England in gewisser Weise. Wenn man ein Team unterstützt, dann gilt das immer und uneingeschränkt. Basaksehir hat noch keine riesige Fangemeinde. Ich denke, viele Spieler wollten hierher, weil der Klub einfach gute Resultate holte. An den Titelgewinn haben wohl die wenigsten gedacht. Und plötzlich kommen Spieler zu dem Klub, die schon in der UEFA Champions League gespielt haben und Nationalspieler sind. Das war ein enormer Schub für alle. Ich selbst bin hierher gekommen, weil damals [Emmanuel] Adebayor hier spielte. Wäre er damals nicht hier gewesen, hätte ich vielleicht nicht die gleiche Wahl getroffen. Den Titel haben wir in dieser Saison allerdings ohne ihn geholt. Aber vielleicht wären ohne ihn viele von uns gar nicht hier und der Klub hätte diesen Erfolg nicht geschafft. Jeder einzelne Schritt ist somit wichtig und es muss allen klar sein, was dies für eine großartige Leistung war. Doch wie oft hat man schon Klubs gesehen, die einen Titel geholt haben und in der nächsten Saison riesige Probleme hatten? Es wird sehr interessant, wie der Klub mit dieser Situation klarkommt.
Gab es noch weitere Gründe, sich für Basaksehir statt für einen der etablierteren Klubs der Türkei zu entscheiden?
Ich habe die Meisterschaft mit Arsenal gewonnen und war dabei der jüngste Spieler, der in der Premier League Meister wurde. Das war historisch. Dann bin ich zu Manchester City gegangen und habe mit dem Klub die erste Meisterschaft seit 44 Jahren geholt. Auch das war historisch. Als ich hierher kam, habe ich an nichts anderes gedacht, als auch mit Basaksehir etwas Historisches zu schaffen. Als ich herkam wurde ich häufig gefragt, warum ich mich nicht für Fenerbahçe oder Galatasaray entschieden habe. Natürlich ist es mit jedem Team toll, einen Titel zu holen, wenn man zu den Anwärtern gehört. Aber mir war klar, dass ein solcher Erfolg mit Basaksehir eine noch größere Sache wäre. Ich werde lieber ein Mal mit Basaksehir Meister als drei Mal mit Galatasaray, denn es bedeutet einfach mehr. Es ist eine größere Sache. Dieser Erfolg geht in die Geschichte ein und niemand weiß, ob er wiederholt werden kann. Genau das war mein Ziel und letztlich weiß ich selbst innerlich am Besten, was wir geleistet haben.
Können Sie uns ein oder zwei Beispiele geben, mit denen Sie zur Fussballkultur des Klubs beigetragen haben?
Das Wichtigste ist natürlich, auf dem Spielfeld alles für den Klub zu geben. Ich bin heute der Spieler, der ich bin, weil ich mich bei jedem meiner Klubs absolut reinhänge und so hart wie möglich arbeite. Mein erster Profiklub war der FC Arsenal. Damals spielten dort Topstars wie Patrick Vieira, Dennis Bergkamp, Thierry Henry, Sol Campbell – ein unglaublicher Kader. Für mich als damals 17-Jährigen war es so, als wäre ich ein einer Universität und hätte unzählige Bücher, aus denen ich wählen konnte. Ich musste mich lediglich konzentrieren und genau zuschauen, wie diese Stars spielten, um zu lernen. In gewisser Weise bin ich daher nicht einmal überrascht, wer ich heute bin, denn ich wurde von diesen Jungs quasi mit aufgebaut.
Wenn wir bei Arsenal am Samstag ein Spiel hatten, war Patrick Vieira ab Montag im Training kaum noch zu halten. Als junger Spieler dachte ich damals: ‚Ok, mal abgesehen von seiner Klasse, denn so wie er wirst du nie sein, aber was das Engagement und die Leistungsbereitschaft angeht, kann es einfach nicht sein, dass dieser Typ das hinkriegt und ich nicht mindestens ebenso engagiert dabei bin.‘ Ich wusste, wenn ich das tun würde, hätte ich gute Chancen, viele Jahre im Geschäft zu bleiben. Das habe ich versucht, auch den Jungs hier zu vermitteln.“ Ich hatte durchaus schon oft Streit mit anderen Spielern hier. Ich bin nicht hier, damit mich alle mögen. Wenn ich Freunde finde, umso besser, aber ich bin in erster Linie hier, um dem Klub zu helfen, denn der Präsident hat mich geholt, damit es Erfolge gibt. Und man kann nur dann Erfolge haben, wenn alle darauf drängen und hart arbeiten.
Was sagen Sie Leuten, die die Süper Lig nicht so gut kennen? Was sind die besonderen Merkmale, die Ihnen auffallen?
Als wir hierher kamen, sagte ich zu meiner Frau: ‚Wenn wir nach Istanbul gehen, lassen wir es ruhig angehen.‘ Denn ehrlich gesagt war ich davon ausgegangen, dass es leicht würde. Der erste Monat war ja noch ganz gut. Man ist wegen der neuen Erfahrung hoch motiviert und voller Adrenalin. Aber nach einem Monat wurde mir klar, dass ich überhaupt keine guten Leistungen brachte. Ich erinnere mich noch, wie mich ein junger gegnerischer Spieler auf dem rechten Flügel regelrecht vernichtet hat. Ich sagte zu meiner Frau: ‚So kann das nicht weitergehen.‘ Ich habe einen persönlichen Fitnesstrainer engagiert und zu Hause zusätzliche Trainingseinheiten absolviert. Das habe ich ein Jahr lang gemacht und wurde dabei langsam wieder besser, bis ich wieder ich selbst war. Das Niveau mag hier nicht so hoch sein wie in England, doch auch in der Türkei gibt es enorm viel Talent. Die Spiele verlaufen sehr offen. Als Verteidiger findet man sich nicht selten in 3-gegen-5-Situationen wieder. Daher sieht man hier insbesondere bei den Derbys so viele Gelbe und Rote Karten, denn so spielen sie hier einfach – mit vollem Herzen und riesiger Leidenschaft. Das macht die Schönheit des türkischen Fussballs aus.
Wollen Sie bei dem Klub bleiben und dazu beitragen, dass der Erfolg anhält? Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Mein letztes Jahr bei Manchester City war unter Pep Guardiola. Das hat meine Sichtweise auf den Fussball völlig verändert. Ich habe den Wunsch entwickelt, selbst Trainer zu werden. Ich weiß nicht, ob ich ein guter oder ein schlechter Trainer werde, aber ich weiß, dass ich es auf jeden Fall versuchen will. Das soll allerdings erst in ein paar Jahren passieren, denn ich denke, dass ich noch zwei, drei gute Jahre in den Beinen habe, die ich genießen will. Ich will das Beste daraus machen. Allerdings ist der Fussball eine lustige Sache, insbesondere in der Türkei. Man weiß nie, was alles passieren kann. Ich bin ziemlich sicher, dass der Klub mich halten will. Ich fühle mich hier sehr wohl, aber ich muss trotzdem alles im Auge behalten, was sich ereignet. Wer kommt und wer geht? Dieses Jahr sind wir Meister geworden und nächstes Jahr spielen wir in der Champions League. Das ist noch einmal eine ganz andere Hausnummer. Wenn man als Klub nicht gut darauf vorbereitet ist und nicht die richtigen Spieler holt, um das Team zu verstärken, dann kann eine sehr schwere Saison blühen. Man hat es ja bei Leicester City gesehen. Die sind Meister geworden und haben im Jahr danach in der Champions League gespielt, mussten aber enorm kämpfen, um überhaupt in der Premier League zu bleiben.
Das alles ist großartig. Wir müssen die aktuelle Situation genießen und alles mitnehmen, denn es war eine herausragende Leistung. In der nicht ganz so nahen Zukunft will ich mich also als Trainer versuchen. Ich arbeite schon mit jungen Spielern zusammen, seitdem ich zu Basaksehir kam. Mir gefällt die enge Zusammenarbeit mit anderen Spielern. Daher will ich den Fussball auch aus einem anderen Blickwinkel kennen lernen. Trainer zu sein ist etwas völlig Anderes, als Spieler zu sein. Ich will es auf jeden Fall versuchen.
Sie haben davon gesprochen, dass Guardiolas Ansatz für Sie ein echtes Schlüsselerlebnis war. Wie ist das zu verstehen und auf welche Weise hat er Ihnen gezeigt, eine andere Seite des Fussballs zu sehen?
Bei ihm dreht sich alles um kleine Details. Er ist absolut detailversessen. Ich werde oft gefragt, ob Wenger oder Pep der bessere Trainer ist. Aber das ist nicht die richtige Frage. Beide waren sehr erfolgreich. Vielen Spielern gefällt Wengers Philosophie und vielen gefällt die von Pep. Ich kann nur sagen, dass er absolut schonungslos und kompromisslos ist. Er hat seine eigenen Vorstellungen und wer in sein Schema passt, kann sich glücklich schätzen. Diejenigen allerdings, die nicht in seine Vorstellungen und seine Philosophie passen, werden nicht bleiben. Auf der einen Seite hat man einen Trainer wie Wenger, der die Spieler ermutigt, ihre Stärken zu nutzen und mit dem Herzen zu spielen und sich auf dem Feld völlig frei zu entfalten. Er hat viele Spieler gefördert und vorangebracht und hat damit Erfolg gehabt. Auf der anderen Seite hat man einen Trainer, der den Spielern ganz genau sagt, was sie zu tun haben. Er hat für jedes einzelne Spiel ganz genaue Vorstellungen und du musst in diese Vorstellungen hinein passen. Wenn nicht, spielst du in seiner Planung keine Rolle. Das ist zwar hart, aber man kann eigentlich nicht in Frage stellen, was er macht, denn er ist ja ganz sicher einer der erfolgreichsten Trainer der letzten sechs oder sieben Jahre. Bei ihm heißt es: ‚Wir werden dies und jenes tun und es wird funktionieren.‘ Man bereitet sich eine ganze Woche lang intensiv und präzise auf den nächsten Gegner vor. Alles, was er im Lauf der Woche sagt, wird tatsächlich eintreten. Er ist auf seine Weise etwas ganz Besonderes. Man spürt förmlich, wie viel Energie er in seine Ansprachen steckt und auch in die Trainingseinheiten. Und er hat ja auch ein großartiges Team um sich herum aufgebaut. Es ist nicht nur er selbst. Einfach alles ist absolut perfekt. Seine Art sorgt dafür, dass man es auch selbst versuchen will. Nicht er zu sein, aber genau so engagiert und leidenschaftlich zu sein, wie er es als Trainer ist.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.fifa.com
Link: https://de.fifa.com/news/clichy-vieiras-harter-einsatz-im-training-hat-mich-sehr-inspiriert