Die türkische Stadt Adana ist voller Geschichte. Erstmals wurde sie im 16. Jahrhundert v. Chr. von den Hethitern erwähnt, Alexander der Große war dort, auch das Römische Reich hinterließ Spuren. Heute zählt Adana rund 2,2 Millionen Einwohner, hat eine der größten Universitäten der Türkei und ist natürlich auch für den gleichnamigen Hackfleischspieß bekannt. Fußball spielte dort bislang aber eher eine untergeordnete Rolle. Adana Demirspor, der größte Verein der Stadt, brachte mit Hasan Sas und allen voran Fatih Terim zwar zwei große Persönlichkeiten des türkischen Fußballs hervor, Erfolge sind aber Mangelware. Bis zu dieser Saison spielte Adana 26 Jahre lang nicht in der Süper Lig. Nun ist der Klub aber wieder da – und gekommen, um zu bleiben. Dafür sprechen auf jeden Fall die Unternehmungen auf dem Transfermarkt.
Zuletzt sorgte Adana Demirspor am Montag für Aufsehen: Statt von Schalke 04, wo er Kapitän war, zurück in die französische Heimat zu gehen, band sich Benjamin Stambouli (30) für zwei Jahre an den Verein aus der Stadt unweit des Mittelmeers und der Grenze zu Syrien. Der Defensivallrounder ist einer von elf Neuzugängen. Weder soll er der Letzte sein, noch ist er der einzige große Name: Bei den „Blauen Blitzen“ trifft er auf seinen früheren Team- und Meisterkollegen beim Montpellier HSC, Younès Belhanda (31), auf den norwegischen Nationalspieler Jonas Svensson (28), den 75-fachen Championship-Torschützen Britt Assombalonga (28), den 191-fachen Serie-A-Profi Lucas Castro (32), David Akintola (25), der zuletzt bei Hatayspor überzeugte, und allen voran Mario Balotelli (30).
Vor allem Letzterer sorgt beim Team offenbar für Aufbruchstimmung. „Natürlich war und ist die Freude groß bei jedem Spieler. Wir hatten in der letzten Saison mit Gökhan Inler schon einen Startransfer, aber Balotelli ist da, glaube ich, schon noch eine Nummer größer. Daher denke ich, dass jeder schon fasziniert war, als er im Trainingslager angekommen ist“, sagt der in Dortmund aufgewachsene Innenverteidiger Semih Güler (26) über seinen neuen Teamkollegen zu Transfermarkt. Balotellis Auftreten spreche für sich selbst, meint Güler, der seit Januar 2019 in Adana spielt: „Da merkt man, dass er ein ‚Star‘ ist. Aber er ist menschlich sehr nett und zuvorkommend, hilft jedem auf dem Spielfeld, kommuniziert mit jedem und versucht auch schon Türkisch zu lernen.“
Das italienische Enfant Terrible, zuletzt rund ein halbes Jahr bei Berlusconi-Klub AC Monza in der Serie B aktiv, soll Adana Demirspor Glanz und Glamour und idealerweise seine seit Jahren stockende Karriere zurück auf den richtigen Kurs bringen. Bei seiner Vorstellung sagte Balotelli (zitiert via „Gazetefutbol“): „Mit Adana Demirspor wollen wir natürlich vorerst in der Liga bleiben und im Großen und Ganzen eine gute Saison spielen.“ Der einstige Profi von Man City oder Milan fügte scherzhaft an: „Wenn mir nicht viele Tore gelingen sollten, ist Younès Belhanda schuld.“
Große Namen, höheres Alter: Adana Demirspor und die Süper-Lig-Transferpolitik
Auf dem Papier sollte Balotelli eine gute Torausbeute möglich sein. Seinen Kaderwert hat Adana Demirspor durch die Transfers von 6,4 Mio. auf 27,2 Mio. Euro gesteigert – also um 325 Prozent. Die Transferstrategie dahinter ist in der Türkei nicht neu: Große Namen, die ihre sportlich besten Tage eigentlich hinter sich haben, für geringe oder keine Ablösen verpflichten, dafür aber mit einem guten Gehalt locken. Damit fielen über die Jahre viele Vereine auf, in der jüngeren Vergangenheit am prägnantesten wohl Istanbul Basaksehir, das u.a. mit Martin Skrtel (34), Gaël Clichy (33), Robinho (37) oder Demba Ba (36) 2020 Meister wurde.
Das ist initial nicht das Ziel – mittelfristig möchte sich Adana Demirspor aber im türkischen Spitzenfußball etablieren. Vor allem ablösefreie Spieler zu verpflichten, was gerade bei Älteren leichter möglich ist, hat mit dem Wechselkurs der türkischen Lira zu tun, wie Lara Karacan („laracan“), Content Creator von Transfermarkt.com.tr, erklärt: „Im Vergleich zum Euro steht dieser mittlerweile bei 1:10. Die türkischen Klubs besitzen nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten, hohe Ablösesummen zu zahlen, weshalb sie ihr Augenmerk auf ablösefreie Spieler legen, um dafür ein besseres Gehalt bieten zu können. Zudem sind ‚große Namen‘ in der türkischen Fanbase beliebt. ‚Mehr mit dem Namen werben als mit der tatsächlichen Qualität‘, lautet daher die Devise. Das Ziel ist meiner Meinung nach simpel: Sparen und hoffen, dass der Spieler zwei bis drei Jahre seine Leistung bringt.“
Gewisse Ambitionen und großes Denken zeigt Adana-Präsident Murat Sancak seit seinem Amtsantritt 2018, große Umbrüche und viele Transfers, auch mit größeren Namen, sind seitdem auf der Tagesordnung. Im ersten Jahr holte er etwa den früheren Man-United-Profi Anderson (33) oder die aus der Bundesliga bekannten Levent Aycicek (27) und Süleyman Koc (32), 2019 kam der frühere schwedische Nationalspieler Erkan Zengin (35) und 2020 der Spieler, der als Kapitän sein Team zum Aufstieg führen sollte: Gökhan Inler (37). Passenderweise kam der Schweizer von Basaksehir.
Fans, Sponsoren & gewisse Staatsnähe: Adana Demirspor und die Finanzen
Dass sich bei diesen Transferbemühungen eines Klubs, der jahrelang in der 2. und 3. Liga unterwegs war und zweitweise vor der Insolvenz stand, die Frage nach der Finanzierung stellt, ist selbsterklärend. Belhanda verdient laut „NTV Spor“ mindestens 1,5 Mio. Euro im Jahr, Balotelli soll laut verschiedenen Medien bis 2024 sogar insgesamt 9 bis 15 Mio. Euro einstreichen.
Präsident Sancak, selbst Unternehmer und u.a. im Vorstand des Automobilherstellers „BMC“, betonte aber, dass die Fans der „Blauen Blitze“ sich keine Sorgen machen müssten. Dass der Klub sich Erfolg auf Pump verschaffen wollte, bezeichnete er (zitiert via „Gazetefutbol“) als „Fake News“: „Wir tätigen unsere Transfers nach den Budgetvorgaben des Verbandes. Manche Personen schreiben, dass der Klub in Schwierigkeiten geraten wird. So etwas wird es nicht geben. Dieser Klub wird professionell und wie eine Firma geführt. Wir haben Budgets, an die wir uns strikt halten. Adana Demirspor ist schuldenfrei und hat sogar ein Plus von 48 Millionen TL (ca. 4,68 Mio. Euro) vorzuweisen.“
In Sachen Finanzen kamen nach den Verpflichtungen Balotellis und Belhandas wiederum Vergleiche mit Basaksehir auf – dem Lieblingsklub des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Süper-Lig-Expertin Karacan sieht zwar gewisse Parallelen, aber wiederum auch Unterschiede, vor allem, weil „die politische Ausrichtung beider Vereine in ihren Ursprungsformen eigentlich sehr konträr ist.“ Adana Demirspor gilt als klassischer Arbeiterverein, hat viele Fans, die dem linken Spektrum zuzuordnen sind, während Basaksehir engste Verflechtungen zu Erdogans AKP hat. Dennoch werde bei Adana Demirspor „eine größere Verbindung zur türkischen Regierungspartei postuliert. Der Verein wurde ursprünglich von der staatlichen Eisenbahngesellschaft gegründet. Zudem ist Adana Demirspor der beliebteste Verein aus Adana, was natürlich bedeutet, dass die Stadt voll hinter dem Aufsteiger steht.“
Die Fanbasis des Klubs gilt trotz der langen Erfolglosigkeit, 1978 stand Adana Demirspor mal im Pokalfinale, ansonsten ist in den Annalen der Süper Lig vor allem das 0:10 gegen Besiktas 1989 verzeichnet, als eine der emotionalsten der Türkei. Der Klub hat ihr erst im Februar ein neues Stadion ermöglicht: Das Yeni Adana Stadyumu hat 33.543 Plätze. Das macht den Verein für Sponsoren natürlich interessant: Im November 2020 unterzeichnete das Finanztechnologie-Unternehmen „Bitexen“ mit dem Verein einen Trikotwerbevertrag über fünf Jahre, der um weitere fünf Jahre verlängert werden kann. „Bitexen“ arbeitet vor allem im Bereich der Kryptowährungen und hat bereits den Adana Demirspor Coin (ADSC) gelistet.
Karacan sagt: „Präsident Sancak weiß, mit Geld umzugehen. Zudem hat der Klub Sponsoren, die beispielsweise die Hälfte des Gehalts Balotellis stemmen. Das ist ein gängiges Modell in der Türkei, ohne das etwa der Transfer Mesut Özils zu Fenerbahce nicht zustande gekommen wäre. Der dritte große Faktor ist die Fanbase, die hinter den Top-4 zu den größten des Landes zählt. Die allgemeine Unterstützung, aber auch die finanzielle z.B. durch Trikot- bzw. Ticketerlöse, ist groß.“
Weitere Transfers bei Adana Demirspor geplant: Kommt auch David Luiz?
So groß, dass bei den bisher vollzogenen Transfers nicht Schluss sein soll. „Für die Offensive hat sich Adana Demirspor bis jetzt gut aufgestellt, es muss aber auf jeden Fall noch ein guter Innenverteidiger bzw. Linksverteidiger her“, sagt Karacan. Präsident Sancak bestätigte zuletzt Verhandlungen mit David Luiz (34), dessen Vertrag bei Arsenal ausgelaufen ist. Der Brasilianer würde perfekt in die bisherige Riege an Transfers passen. Zudem sei der türkische Nationalspieler Umut Meras im Gespräch, welcher nach Karacans Meinung „eine super Verstärkung für den Aufsteiger wäre.“ Auch im Tor soll noch etwas passieren, Arijanet Muric (22) könnte von Man City geliehen werden.
Grundsätzlich sollte einer guten Saison Adana Demirspor mit diesen Voraussetzungen nichts im Wege stehen – Probleme sieht Karacan höchstens in der Kaderbreite: „Es wurden zwar sehr gute Transfers getätigt, wenn jedoch Spieler aus der ersten Elf ausfallen, befürchte ich einen großen Leistungsabfall im Spiel.“ Vermutlich würden die emotionalen Fans das zunächst verzeihen, schließlich ist es schon 26 Jahre her, dass der Klub in der 1. Liga war.
Abwehrmann Güler will die Erwartungshaltung nicht zu hoch hängen, sagt: „Da wir es nach 26 Jahren geschafft haben, aufzusteigen, ist unser Ziel natürlich erst mal der Klassenerhalt.“ Eine Hintertür lässt er aber offen: „Mit den Transfers wie Balotelli, Stambouli und so weiter werden wir versuchen, die ‚großen‘ Vereine zu ärgern. Und wer weiß, vielleicht wird es am Ende sogar ein Europapokal-Platz.“ Die Motivation ist jedenfalls groß, der historischen Stadt Adana auch in Sachen Fußball einen positiven Eintrag in die Bücher zu verschaffen.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf transfermarkt.de
Autor: Marius Soyke