Mario Gomez, Sami Khedira, Timo Werner, Joshua Kimmich oder Serge Gnabry. Die Nachwuchsabteilung des VfB Stuttgart hat der Fußballwelt zahlreiche Stars beschert. Der türkische Sportsender „TRT Spor“ blickt deshalb mit dem seit fünf Jahren bei den Stuttgartern aktiven U17-Trainer Murat Isik hinter die Kulissen. Nach Beendigung seiner Karriere beim 1. FC Frickenhausen und einer anschließenden Trainertätigkeit bei dem Klub, heuerte Isik beim SSV Reutlingen als Trainer an. Seit 2015 ist der mittlerweile 45-Jährige in der Jugendabteilung des VfB Stuttgart tätig. Im Interview äußerte sich der gebürtige Kirchheimer über die Vereinsphilosophie des fünfmaligen deutschen Meisters und zog Vergleiche zum türkischen Fußball.
„Die Meisterschaft von 2007 war die Ernte einer erfolgreichen Jugendarbeit“
Isik schreibt die Meisterschaft der Stuttgarter von 2007 der herausragend arbeitenden Jugendabteilung zu, auf die man aufgrund der finanziellen Engpässe zu dem Zeitpunkt angewiesen war. „Mit Felix Magath legte der VfB seit 2002 großen Wert auf die Jugendarbeit und integrierte Spieler wie Gomez, Khedira oder Serdar Tasci ins Team. Die Champions League-Teilnahme von 2003 war der Warnschuss an die Konkurrenz im Hinblick auf Meisterschaft im Jahr 2007. Durch die Erfolge erzielte der Klub höhere Einnahmen, wodurch die Nachwuchsarbeit vernachlässigt wurde. Das wurde dem Klub, verbunden mit einer falschen Transferpolitik, zum Verhängnis.“ Der 45-Jährige weiter. „Der Verein lernte aus seinen Fehlern und konzentrierte sich vermehrt auf die Jugendarbeit. Spieler wie Timo Werner und Joshua Kimmich kamen daher zum Vorschein. Aktuell hat der VfB den niedrigsten Altersdurchschnitt in der Bundesliga.Wir sollten nicht voreilig sein, doch die Wahrscheinlichkeit, dass wir in Stuttgart neue Stars aufblühen sehen, ist ziemlich groß. Thomas Hitzlsperger hat zunächst die Leitung der Jugendabteilung und anschließend das Management des Profikaders übernommen. Da er selbst aus der Jugend dieses Klubs stammt, legt er großen Wert auf die Entwicklung der Nachwuchskicker. Dass der Verein mittlerweile auf dem richtigen Weg ist, zeigen die derzeitigen Erfolge.“
„Altinordu ist aufgrund der Infrastruktur und der Jugendarbeit ein Vorzeigeklub“
Die Vereinskultur von Altinordu findet Isik lobenswert und vielversprechend. Die Gegebenheiten vor Ort konnte er im vergangenen Jahr während eines Turniers näher unter die Lupe nehmen. Die in der Türkei geltende Ausländerregelung ist laut dem Jugendtrainer für den türkischen Fußball nicht von fördernder Wirkung. „Das ist selbstverständlich ein sehr umfassendes Thema, aber eines der größten Probleme in der Türkei ist meiner Meinung nach die Ausländerregelung. Ich finde, diese Regelung schadet dem türkischen Fußball, da jüngeren Spielern kaum noch Chancen gegeben werden. Einige Teams spielen sogar ausschließlich mit Ausländern in der Startelf. Es gibt jedoch auch infrastrukturelle Unterschiede zwischen Deutschland und der Türkei. In Deutschland ist nahezu in jedem Dorf ein Fußballverein und ein Fußballplatz vorzufinden. Die Kinder und Jugendlichen haben ausreichend Möglichkeiten Sport zu treiben. In der Türkei sehe ich in dieser Hinsicht noch Luft nach oben. Altinordu ist in dieser Kategorie mit den deutschen Klubs vergleichbar. Letztes Jahr waren wir im Rahmen eines einwöchigen Turniers zu Gast bei Altinordu FK und wurden vom Klubpräsidenten Mehmet Özkan sehr gut empfangen. Dafür möchte ich ihm danken. Er hat eine Art Revolution im türkischen Fußball vollzogen. Dass Spieler wie Cengiz Ünder und Caglar Söyüncü von Altinordu kommen, ist kein Zufall.“
„Den deutschen Klubs entwischt nahezu kein Talent“
Zwischen der Türkei und Deutschland gibt es laut Isik einen immensen Unterschied im Talentscouting. „Im Gegensatz zu der Türkei ist der deutsche Fußball mit dem DFB und den dazugehörigen Verbänden großartig organisiert. Jede Region wird nach Talenten durchforstet und die talentiertesten Kicker werden in den sogenannten Stützpunkten ausgewählt. Diese Spieler zeigen ihr Können in verschiedenen Auswahlmannschaften, bis sie es in das deutsche Juniorennationalteam schaffen. Daher ist es nahezu unmöglich, dass den Deutschen ein Talent entwischt. Meines Wissens gibt es in der Türkei eine derartige Organisation nicht. In einem Land mit 80 Millionen Einwohnern können da durchaus viele Talente übersehen werden. Außerdem ist die Anzahl der Lizenzspieler in Deutschland 20 Mal so hoch wie die in der Türkei. Wir müssen uns die Frage stellen, wie viel Prozent der Bevölkerung wir dazu verleiten, sich zum Fußball oder zum Sport hin zu orientieren?“
„Stuttgart hat sich die Sichtung und Entwicklung von Talenten zur Aufgabe gemacht“
Im Vergleich zu türkischen Fußballern sind die Akteure in Deutschland laut Isik deutlich disziplinierter und ehrgeiziger. „Die Vereinspolitik des VfB Stuttgart besteht darin – neben der Entwicklung der eigenen Jugendspieler – Talente zu entdecken und weiterzuentwickeln. Die Spieler in Deutschland sind sehr diszipliniert und haben den nötigen Respekt gegenüber dem eigenen Job. Die Sportkultur wird in diesem Land verinnerlicht. Es gibt über 100.000 ehrenamtliche Mitarbeiter in verschiedenen Sportvereinen. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den beiden Bevölkerungen was die Mentalität angeht. Während in Deutschland die Freizeit oft mit Sport in Form von Joggen oder Fahrradfahren verbracht wird, ist das in der Türkei nicht der Fall. Diese Mentalität ist allerdings nicht an die Einkommenssituation der Menschen gekoppelt. Menschen in Ländern, denen es wirtschaftlich schlechter geht als in der Türkei, legen dennoch eine größere Begeisterung für den Sport an den Tag.“
„Der BVB gibt den eigenen Jugendspielern keine Chance“
Auf die Frage, warum in der Türkei jeder an Borussia Dortmund denkt, wenn über Deutschland und Jugendfußball gesprochen wird, entgegnete der 45-Jährige eher verwundert. „Bezüglich der Ausbildung von Jugendspielern muss ich Ihre Aussage etwas korrigieren. Sie bilden sehr gute Spieler in den Jugendabteilungen aus, doch geben ihnen im Profikader kaum Chancen. Sie fokussieren sich vielmehr darauf, junge Spieler aus dem Ausland zu holen und sie weiterzuentwickeln. Den FC Schalke 04 sowie die TSG 1899 Hoffenheim kann ich als gute Beispiele nennen. Sie haben gute Jugendabteilungen und geben ihren Spielern ausreichend Chancen sich zu zeigen. Diese Klubs nutzen die vom deutschen Fußballverband bereitgestellten Möglichkeiten sehr gut.“
„Mirhan Inan ist einer der talentierten Spieler in der VfB-Jugend“
Die Frage, ob es in der Jugendabteilung des VfB Stuttgart talentierte türkische Spieler gibt, beantwortete Isik mit dem Namen Mirhan Inan. „Ich habe Inan für die U17 verpflichtet, weil ich in ihm einen talentierten Spieler sehe. Aktuell spielt er für die U19. Er verfügt über großartige Qualitäten, ist schnell und hat eine tolle Physis. Seine Technik ist auf dem höchstem Niveau. Ich bin mir sicher, dass wir sehr bald von ihm hören werden.“ Isik bedankte sich im Anschluss für das Interview und hob den zusammenführenden Aspekt des Sports hervor. „Ich möchte mich für dieses Interview bei Ihnen bedanken. Der Fußball und Sport an sich sind sehr schöne Dinge. Sie verbinden Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, mit verschiedenen Sprachen und Religionen. Daher mag ich den Sport und schätze den Wert unserer Kinder und den Jugendlichen. Wir sollten versuchen ihnen die entsprechenden Möglichkeiten zu geben.“