Mustafa Denizli gehört zweifelsfrei zu den erfolgreichsten Trainern der türkischen Fußballgeschichte. Der 70-Jährige gewann als bis heute einziger Coach mit allen drei großen Istanbuler Klubs Galatasaray (1988), Fenerbahce (2001) und Besiktas (2009) die Meisterschaft in der Süper Lig. Mit der türkischen Nationalmannschaft erreichte er bei der EM 2000 das Viertelfinale. Entsprechend großes Gewicht haben seine Ansichten und Äußerungen.
Tractor Sazi will mit Denizli Großes erreichen
Aktuell befindet sich der erfahrene Übungsleiter mit seinem neuen Klub Tractor Sazi FC im Rahmen der Saisonvorbereitung in Erzurum. Bei dieser Gelegenheit sprach Denizli mit der türkischen Presse über seine Ziele mit dem iranischen Verein, mit der großen aserbaidschanischen Anhängerschaft und die Schwächen des türkischen Fußballs im Allgemeinen: „In Täbris herrscht eine große Fußball-Begeisterung. Als Verein, der noch nie die Meisterschaft gewann, geht der Klub mit diesem Ziel in die neue Saison. Auch aus der Türkei gibt es Erwartungen, wie in der Stadt hier. Das erzeugt eine große Verantwortung bei uns.
Ich hatte insgesamt drei Angebote aus der Türkei und dem Iran. Tractor Sazi besitzt in ganz Iran das größte Zuschauer- und Fanpotenzial. Vielleicht ist man sogar die Nummer eins diesbezüglich. Man hofft auf den Titelgewinn. Als ich zuletzt im Iran war, spielten sich noch in der zweiten Liga. Jetzt sind unsere Spiele ausverkauft. Die Menschen hier haben hohe Erwartungen. Wenn die Umstände es erlauben, könnten wir einige türkische Spieler verpflichten.“, zitierte „NTV Spor“ den Erfolgstrainer.
„Süper Lig büßt Markenwert ein“
Anschließend wand sich der langjährige Süper Lig-Trainer dem türkischen Fußball zu, bei dem er viele Schwachpunkte ausmachte, die den Fortschritt und das positive Wachstum der Branche hemmen würden: „Ich denke der türkische Fußball verliert immer mehr an Markenwert. Es gibt ein ungesundes Transfersystem. Jeder Verein transferiert in den Medien täglich zwei oder drei Spieler. In der Realität ist das eben nicht so. Die großen türkischen Klubs wollen jedes Jahr ein noch stärkeres Team aufbauen und im Europapokal erfolgreich sein. Doch wegen der UEFA Financial Fairplay-Kriterien ist das unmöglich. Wir können den Markenwert der Süper Lig nicht bewahren. Vor fünf Jahren war dies deutlich positiver.“
Prognose: Titelrennen wird noch enger
Auch die Meisterschaft falle umkämpfter aus, da die großen Istanbuler Klubs nicht mehr so stark und dominant wie früher auftreten. Das Gefälle und der Qualitätsunterschied in den Mannschaftskadern innerhalb der Liga sei nicht mehr so groß wie einst: „Ich denke die Liga wird dieses Jahr noch weiter zusammenrücken. Basaksehir hat vielleicht letztes Jahr den Acht-Punkte-Vorsprung wegen fehlender Erfahrung verspielt. Fenerbahce wird dieses Jahr angreifen nach der schwachen Vorsaison. Trabzonspor wird viel früher im Titelrennen involviert sein. Der Punktedurchschnitt der Titelanwärter ist auf zwei Zähler gefallen. In den letzten Jahren lag der Punkteschnitt für Meisterteams bei 2,2 oder 2,3 Punkten pro Spiel. Das kann daran liegen, dass die Top-Klubs schwächer oder aber die restlichen Ligateams stärker werden. Es sieht aktuell so aus, als ob der Punkteschnitt für einen Titelanwärter diese Saison nicht über 2,1 Punkte pro Partie liegen wird. Wichtig ist nicht, wer besser in die Meisterschaft startet, sondern wer das Titelrennen besser beendet.“
Nationalteam: Türkei mit vielversprechender Generation
Auch zum türkischen Nationalteam unter der Leitung seines Kollegen Senol Günes hatte Denizli etwas zu sagen: „Die Türkei hat eine gute Generation erwischt. Senol Günes hatte nach mir schon einmal die Nationalmannschaft übernommen. Er ist sowohl auf Klubebene als auch mit dem Nationalteam sehr erfolgreich gewesen. Nun haben wir eine junge Generation, die ihre Ziele erreichen kann. Mit Senol Günes haben sie einen guten Lauf hingelegt. Die Island-Pleite nach dem Frankreich-Sieg war auch für mich überraschend. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Türkei mit Senol Günes ihre Ziele erreicht. Wir haben Spieler im In- und Ausland im Kader. Ob die Spieler regelmäßig bei ihren Klubs spielen, ist eher sekundär. Wichtig ist, dass sie fit sind. Dann spricht nichts gegen einen Einsatz in der Nationalelf. Ich habe gerade diese Spieler oftmals eingesetzt, da sie sich bei der Nationalmannschaft beweisen und empfehlen wollten und daher extra motiviert waren.“
Ausländerregelung: „Was für ein überflüssiges Thema“
Zur viel diskutierten Ausländerregelung hatte Denizli ebenfalls sehr interessante Ansichten mitzuteilen: „Meiner Meinung nach gibt es keine Ausländer-, sondern eine Inländerregelung. Es gibt eine Vorschrift, wie viele türkische Spieler im Kader sein müssen. Ob man einen oder drei Ausländer hat, darüber wird zu viel diskutiert. Fußball ist ein Wettstreit. Wenn du aus deiner eigenen Mitte Spieler hervorbringst, die gut sind und spielen können, ändert das auch nichts, wenn du die weltbesten Akteure holst und ist auch nicht wichtig. Natürlich freue ich mich auch, wenn mehr Türken im Team spielen. Aber die Rivalität mit den ausländischen Spielern tut ihnen in ihrer Entwicklung ebenfalls gut. Die Türkei befasst sich oft mit so unnötigen und sinnlosen Sachen. Wichtig ist die Jugendarbeit. Und ganz ehrlich, dass ist jetzt nicht etwas, wie die Entdeckung von Amerika. Wir sollten unser Augenmerk auf die Ausbildung und die Arbeit sowie Trainingsmethoden unserer Trainer legen.“
Erfolge für das Nationalteam näher als für Klubs im Europapokal
Zu guter Letzt bewertete Denizli die Erfolgschancen der türkischen Teams im Europapokal und der Nationalmannschaft: „Ich wünsche allen viel Erfolg. Ich bin selbst von der Champions League, über den UEFA Cup bis hin zum Pokal der Pokalsieger in vielen Wettbewerben angetreten. Wir haben Klubs, die Erfolge vorweisen können. Doch viel wichtiger sind die gewonnenen Punkte für die Länderwertung. Darauf kommt es an. Sowohl als Team als auch individuell musst du den Ehrgeiz haben, dass Unerreichte zu erreichen. Ich glaube, dass kurzfristig Erfolge im Europapokal für unsere Teams nicht realistisch beziehungsweise sehr schwierig sind. Der Weg der Nationalmannschaft zum Erfolg ist da leichter und kürzer.“