Fußball ist manchmal reine Emotions- und Gefühlssache. Besonders deutlich wird dies, wenn sich zwei erbitterte Rivalen in einem Derby gegenüberstehen. Hass und Liebe prallen aufeinander. Ein Sieg bedeutet für jeden eingefleischten Anhänger viel mehr als nur die drei Punkte und prägt oftmals den gesamten Saisonverlauf. So richten sich in der Türkei alle Blicke auf das Interkontinental-Derby am Freitag. Rekordmeister Galatasaray bittet den Erzrivalen Fenerbahce vor heimischer Kulisse zum 388. Tanz. Beide Teams brauchen mit einem Derbysieg den Befreiungsschlag. Die Gastgeber konnten die letzten drei Pflichtspiele nicht für sich entscheiden und gaben vergangene Woche auch noch die Tabellenführung an Basaksehir ab. Bei Fenerbahce ist die Lage deutlich dramatischer. In Samandira brennt förmlich der Baum: Nur neun Punkte in den ersten zehn Ligaspielen, der 15. Tabellenplatz, aussortierte Spieler, wütende Fans und das erste Pflichtspiel nach der Entlassung von Phillip Cocu. Das Istanbul-Abenteuer des Niederländers erwies sich als großes Missverständnis. Bei der 1:3-Pleite am vergangenen Wochenende gegen Liganeuling Ankaragücü hatte Präsident Ali Koc endgültig genug und feuerte den Meistertrainer der Eredivisie. Co-Trainer Erwin Koeman nimmt gegen Galatasaray das Zepter interimsweise in die Hand. Die Umstände zeigen also, dass die Gelb-Marineblauen die drei Punkte eher brauchen. Doch auch der amtierende Meister hat trotz der besseren Platzierung auf der Tabelle seine Anhänger noch nicht so richtig überzeugen können. Des Weiteren liegt der letzte Sieg gegen Fenerbahce im Ligabetrieb mehr als vier Jahre zurück. Ein Punktverlust könnte den Rückstand auf die Tabellenspitze erhöhen und vor dem wichtigen Champions League-Gruppenspiel gegen Schalke die Moral innerhalb der Mannschaft beeinträchtigen.
Fatih Terim und seine lange Verletztenliste in Florya
„Wir haben einen Samurai aus Japan geholt und selbst er kann aufgrund einer Verletzung nicht spielen. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll.“ Mit dieser Aussage wies der „Imperator“ Fatih Terim gegen Yeni Malatyaspor (0:2) auf seine lange Verletztenliste hin. Yuto Nagatomo, Emre Akbaba, Fernando, Sofiane Feghouli, Eren Derdiyok, Serdar Aziz, Henry Onyekuru fielen verletzungsbedingt aus. Doch das Urgestein kann aufatmen, denn das Lazarett lichtet sich allmählich: Immerhin haben Feghouli, Serdar Aziz, Derdiyok und Onyekuru das Mannschaftstraining aufgenommen. Ob die vier Schützlinge gegen Fenerbahce auflaufen können, werde vor dem Anstoß feststehen. Younes Belhanda und Martin Linnes gaben nach ihren Verletzungen in Malatya bereits grünes Licht. Mariano fehlt dagegen aufgrund einer Gelbsperre. Hoffentlich hat Terim insbesondere mit Spielern wie Garry Rodrigues oder Sinan Gümüs ernsthafte Vieraugengespräche geführt. Die Auftritte der beiden Kicker in den vergangenen Wochen ließen zu wünschen übrig – gerade an einem Zeitpunkt, worin Terim personell ohnehin nicht viel aus dem Etat schöpfen kann.
Kann Koeman Wunder bewirken?
Auf der asiatischen Seite Istanbuls gibt es ebenfalls den einen oder anderen Ausfall. Mehmet Topal, Tolga Cigerci, Mehmet Ekici, Oguz Kagan Güctekin und der rotgesperrte Islam Slimani stehen Interimstrainer Erwin Koeman nicht zur Verfügung. Die Öffentlichkeit ist auf die Reaktion der Mannschaft nach der Entlassung von Cocu gespannt. Obendrein wurde während der gesamten Woche über eine Begnadigung von Volkan Demirel spekuliert, der mit all seiner Erfahrung und Führungsrolle als Kapitän das Kommando übernehmen hätte können. Dem war nicht so. Demirel bleibt weiterhin aussortiert.
Keine Unruhestifter auf dem Platz – Droht uns erneut eine Nullnummer?
Ein Interkontinental-Derby ohne Eskalationen und Ausschreitungen auf dem Platz? Eigentlich selten vorstellbar. Am Freitag könnte sich das bestätigen. In beiden Reihen gibt es keine Unruhestifter, wie einst mit Felipe Melo oder Emre Belözoglu. Deshalb können wir von einem friedlichen Derby ausgehen. Wenig Hoffnung sollte man dagegen auf ein torreiches Spiel hegen. Die Spielqualität der vergangenen Derbys in junger Vergangenheit war unter aller Schublade und von lauter Nullnummern geprägt. Wenn man obendrein berücksichtigt, dass beide Teams ihre aktuellen Probleme unter anderem in der Offensive haben, wird das Spiel womöglich mit wenigen Treffern entschieden. Bei Fenerbahce fehlt der noch erstaunlich zurückhaltende Islam Slimani und Galatasaray ist nach dem Abgang von Bafetimbi Gomis auf der Angreiferposition ohnehin dünn besetzt. Die Gelb-Roten erzielten nur einen Treffer in den letzten drei Pflichtspielen. Auf der anderen Seite konnte Fenerbahce den gegnerischen Schlussmann in den letzten vier Ligaduellen einmal bezwingen. Schwach.
Torhütervergleich: Muslera ist Tekin voraus
Eine alte Fußballweisheit besagt, dass große Spiele mit guten Stürmern und noch besseren Torhütern entschieden werden. Da uns beide Seiten die Stürmer verwehren, lohnt sich ein Blick auf die Schlussmänner. Da hat Fernando Muslera gegen Harun Tekin in allen Belangen die Nase vorn. Der routinierte Schlussmann rettete zuletzt in der „Königsklasse“ mit einer Glanzleistung den Punkt gegen Schalke (0:0) und wurde sogar auf dem offiziellen „Twitter“-Account der UEFA Champions League gewürdigt. Tekin dagegen machte in der noch jungen Saison überraschend viele Patzer. Der Ex-Nationaltorhüter strahlt noch nicht die Sicherheit zu Bursa-Zeiten aus.
Eine klare Prognose über das Endergebnis lässt sich also nicht stellen, da beide Teams ihrer Form hinterherhinken. Die jeweilige Tagesform wird die Begegnung entscheiden. In Anbetracht der Tatsachen rechne ich mit einem Remis. Hoffen wir auf ein friedliches und spannendes Derby!