„Ist ein Elfmeterschießen nicht das Nervenaufreibendste, was ein Fussballer durchmachen muss?“, fragte ein Reporter eines Tages Romario.
„Das kann für viele so sein. Aber wenn man Taffarel im Tor hat, dann ist es wie ein nettes Fussballspiel am Strand“, antwortete ‚Shortie‘ mit einem schelmischen Augenzwinkern.
Taffarel parierte Elfmeter ebenso regelmäßig, wie viele Spieler sie verwandeln. Im Halbfinale des Olympischen Fussballturniers der Männer Seoul 1988 hielt er gleich drei gegen die BR Deutschland, und im Halbfinale der FIFA Fussball-WM Frankreich 1998™ zwei gegen die Niederlande.
Doch den wohl wichtigsten parierte der heute 54-Jährige vor mehr als 94.000 Zuschauern im Rose-Bowl-Stadion. Taffarel hechtete mit seinen 1,82 Metern (für einen Torhüter nicht besonders groß) nach links und parierte den Schuss von Daniele Massaro. Die Fehlschüsse von Franco Baresi und Roberto Baggio im gleichen Elfmeterschießen führen viele zumindest teilweise auf die Reputation des Elfmeterspezialisten zurück.
In Teil zwei unseres Interviews spricht der frühere brasilianische Schlussmann gegenüber FIFA.com über das Turnier 1994 in den USA, das Nachgeben von Trainer Carlos Alberto Parreira, der letztlich doch Romario nominierte, die Fehler 1990 in Italien und 1998 in Frankreich sowie den 17-jährigen Ronaldo.
Nach der WM 1990 in Italien wurde Brasilien heftig kritisiert. Doch Sie haben die ersten drei Spiele gewonnen und waren im Achtelfinale gegen Argentinien die beherrschende Mannschaft. Was sagen Sie zum Turnierverlauf der Seleção?
Alle Spieler, die dabei waren, lamentieren viel über 1990. Doch unser Kader und unsere Elf auf dem Platz waren die beste Nationalmannschaft bei dieser WM. Wir hatten so viele großartige Spieler, selbst auf der Bank. Der Angriff beispielsweise bestand aus Careca und Muller, und auf der Bank saßen Renato Gaucho, Romario, Bebeto. Man stelle sich mal vor, drei Stürmer dieser Klasse auf der Bank zu haben! Wir waren auf allen Positionen stark besetzt. Doch es gab Streitereien im Training und auch noch andere Probleme. Leider hat jeder Spieler mehr für sich selbst gespielt als für das Team. Wir konzentrierten uns stärker darauf, spektakulären Fussball zu spielen als zu gewinnen – und das ist uns teuer zu stehen gekommen. Wir hätten diese WM eigentlich gewinnen müssen. Wir haben viel besser als Argentinien gespielt, aber trotzdem verloren. Die Argentinier hatten eine einzige Chance, nach diesem Spielzug über Maradona, und haben sie genutzt. Wir hatten 20 Chancen, aber wir haben sie alle vergeben. So ist das im Fussball. Aber ich bin absolut sicher: Brasilien hat diese WM gegen sich selbst verloren.
Carlos Alberto Parreira verbannte Romario während der Qualifikation für die WM 1994 in den USA aus dem Kader, nominierte ihn auch nicht für das entscheidende letzte Qualifikationsspiel gegen Uruguay und gab letztlich erst nach und nominierte Romario doch noch, als er wegen zahlreicher Verletzungen keine andere Wahl mehr hatte. Haben Sie selbst sich gewünscht, dass Parreira ihn wieder nominiert?
Ich selbst, alle anderen Spieler und ganz Brasilien! (lacht) Es war ganz offensichtlich, dass wir einen Spieler mit dieser Persönlichkeit brauchten, einen Knipser vor dem Tor, einen Spieler, der Verantwortung übernahm und Leistung zeigte, wenn es darauf ankam. Gottseidank hat Parreira ihn in letzter Minute doch noch nominiert. Romario kam also zurück in den Kader, mit seinem typischen Selbstvertrauen und seiner stets guten Laune, stand in der Startaufstellung und spielte eine entscheidende Rolle dabei, uns zur WM zu bringen. Er lieferte eine großartige Leistung ab. Es war eines der besten Spiele der Seleção in meiner ganzen Karriere. Ich bin sehr stolz auf den Weltmeistertitel und ich danke Gott, dass Parreira schließlich doch noch Romario zurückgeholt hat.
Können Sie uns von dem Abendessen der Seleção mit Ayrton Senna in Paris nach dem Freundschaftsspiel gegen Paris Saint-Germain erzählen?
Das war ein Erlebnis, an das ich mich immer sehr gern erinnere. Ayrton Senna war ein Idol für alle Brasilianer. Er war ein großer Patriot, ein großer Sportsmann und ein großartiger Mensch. Wir wollten zum vierten Mal Fussball-Weltmeister werden und er wollte zum vierten Mal Formel-1-Weltmeister werden. Ich kann Ihnen überhaupt nichts mehr zu dem Spiel gegen Paris Saint-Germain sagen. Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist dieses Zusammentreffen mit Ayrton Senna! Senna war ein wirklich cooler, einzigartiger Typ. Er war sehr charismatisch und gleichzeitig sehr bescheiden. Er kam ganz normal in unser Hotel, ging durch die Halle – kein Posieren, wie es viele andere machen, keine Security um ihn herum. Man hätte ihn für einen ganz normalen Typ halten können. Er war überzeugt, dass einer von uns das mit dem vierten Weltmeistertitel schaffen würde – aber er war nicht sicher, ob er oder wir. Er hat uns einige sehr inspirierende Worte mit auf den Weg gegeben. Ich denke, dass unser Teamgeist von 1994 ein Geschenk von Ayrton war. Sein Unfall war für ganz Brasilien absolut niederschmetternd. Als er starb, sagten wir uns alle: ‚Wir werden diese WM für Ayrton Senna gewinnen!‘ Glücklicherweise ist es uns gelungen und wir konnten ihn nach dem Finale mit unserem Banner mit der Aufschrift ‚Senna, aceleramos juntos‘ (Senna, wir haben gemeinsam beschleunigt) ehren. Ich bin sehr stolz, dass wir die WM für Senna gewonnen haben.
Als Sie zur WM fuhren, hatten Sie keinen Klub. Sie hatten eine ganze Weile keinen Fussball gespielt …
Ja, ich war vor der WM ohne Vertrag und blieb es auch nach der WM! Ich hatte Reggiana zuvor verlassen und fuhr ohne Klub zur WM. Ich hatte ein bisschen im Team meiner Kirchengemeinde gekickt – allerdings als Stürmer. Es gab ein Turnier, wir haben es gewonnen und ich wurde sogar Torschützenkönig. (lacht) Und auch nach der WM habe ich mir noch sechs Monate Zeit gelassen, bevor ich bei Atletico Mineiro unterschrieb.
Wer war Brasiliens schwerster Gegner bei der WM 1994 in den USA?
Es gab kein einziges leichtes Spiel. Italien hatte ein großartiges Team. Gegen die USA haben wir uns sehr schwer getan. Auch Schweden, das eigentlich nicht unbedingt zu den Großen gehört, war sehr stark. Wir mussten sogar zwei Mal gegen Schweden spielen. Das erste Spiel endete Unentschieden, das zweite (das Halbfinale) haben wir knapp mit 1:0 gewonnen. Aber der schwerste Gegner war wohl Holland, wieder einmal mit vielen Riesentalenten. Wir haben 3:2 gewonnen. Das war ein echtes Spektakel und hat den Zuschauern bestimmt viel Spaß gemacht. Ein schwer erkämpfter Sieg.
Können Sie den Moment beschreiben, als Brasilien den Weltmeistertitel gewann?
Das war ein ganz besonderer Moment. Es war seltsam. Als ich mich auf den Schuss von Baggio vorbereitete, hatte ich schon das Gefühl, dass die WM damit zu Ende geht. Hätte Baggio getroffen, hätte Bebeto immer noch seinen Schuss gehabt, um den Sieg zu holen. Ich wusste nicht, ob ich den Ball halten würde oder er verschießen würde – aber ich wusste irgendwie, dass Baggio den letzten Ball bei dieser WM treten würde. Es war ein unglaubliches Gefühl. Ich dankte Gott für diesen Moment. Es gibt ein wirklich tolles Foto von Baggio mit gesenktem Kopf, am Boden zerstört, und ich gleichzeitig auf den Knien, euphorisch jubelnd. So ist es im Fussball immer – ein Spieler ist enttäuscht und ein anderer überglücklich.
Ronaldo war als 17-Jähriger bei dieser WM mit dabei. Wie war er damals?
Ronaldo war schon immer ein Witzbold. Er war wirklich noch sehr jung, aber überhaupt nicht schüchtern. Stets wuselte er herum und verbreitete gute Laune. Wir wussten, dass wir ihn nicht in einem wichtigen Spiel einsetzen konnten. Darauf war er nicht vorbereitet und als Spieler auch noch nicht reif genug. Doch ich denke, dass diese Erfahrung 1994 – Teil des Teams zu sein, das die WM gewann – dazu beigetragen hat, dass er später zu einem so herausragenden Stürmer wurde. Ich schreibe seinen Erfolg und auch den Brasiliens in den Jahren danach dieser WM-Teilnahme zu. Seine Entwicklung danach war einfach unglaublich. 1995 war er schon ein völlig anderer Spieler – stärker, besser vorbereitet, selbstbewusster und torgefährlicher. Doch es war toll für das Team, dass Ronaldo 1994 dabei war. Er hat uns viel Freude gemacht und für gute Laune gesorgt.
Im Halbfinale von Frankreich 1998 wurden Sie zum ersten Brasilianer mit 100 Länderspielen. und im Elfmeterschießen haben sie bei allen vier Schüssen der Niederländer die richtige Ecke geahnt und zwei davon gehalten…
Dieses Halbfinale 1998 war einfach fantastisch. Ich wünschte, die WM hätte damit geendet – dann wäre ich der große Held gewesen! (lacht) Wir mussten mal wieder gegen die Niederlande ran. Die Niederlande, die bei Weltmeisterschaften eigentlich immer mehr verdient hätten, als sie tatsächlich erreichen. Sie hatten wieder enorm viele sehr talentierte Spieler. Es war ein sehr ausgeglichenes Spiel, es ging ins Elfmeterschießen, und glücklicherweise haben wir gewonnen. Ich versuche immer, das Finale aus meiner Erinnerung zu streichen. Aber an das Halbfinale erinnere ich mich immer sehr gern zurück. Das war ein wirklich magischer Tag.
Und das Finale?
Das war tragisch. Verlieren gehört zum Fussball dazu, doch ein Nationalteam wie das von Brasilien, wo der Fussball eine so wichtige Rolle im ganzen Leben spielt, sollte ein WM-Finale gegen Frankreich nicht mit 0:3 verlieren. Das war nicht fair für unsere Fans. Wir führen Ronaldo nicht gern als Entschuldigung an, doch diese Sache hat sich natürlich massiv auf das Team ausgewirkt. Auf die Stimmung, die Konzentration, das Selbstvertrauen. Es war niederschmetternd, was an diesem Tag geschah. Aber ich will Frankreichs Leistung nicht schmälern. Das war ein großartiges Team. Die Franzosen sind nicht gut in die WM gestartet, doch sie haben es geschafft und waren am Ende würdige Gewinner.
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.fifa.com