Nachdem Cenk Tosun die Jugendabteilungen bei Eintracht Frankfurt durchlaufen hatte, der dauerhafte Sprung in den Stammkader der ersten Mannschaft der SGE unter Michael Skibbe aber verwehrt blieb, erwies sich der Wechsel in die Türkei zu Gaziantepspor als Glücksgriff in der jungen Karriere von Cenk. In Antep konnte er sich für „weiterführende Sturmaufgaben“ beim türkischen Traditions- und Spitzenklub Beşiktaş Istanbul empfehlen. Nach zwei Meisterschaften weckte „der Frankfurter Junge“ Begehrlichkeiten in der Premier League – der Wechsel nach Liverpool zum dortigen Traditionsverein FC Everton wurde eingetütet.
Als Stürmer, der in Deutschland ausgebildet wurde und in der Türkei auch den technisch versierten Fußball schätzen lernte, tut sich Cenk Tosun auch mit der harten, schnellen Gangart in England nicht schwer. Ist die EPL die Krönung in der Karriere des hessischen Ausnahmekickers, an der sein Vater durch seinen Support großen Anteil hatte? Oder wird es ihn nach Vertragsende zurück in die Türkei oder gar wieder nach Deutschland ziehen? Dem Fußball, das steht heute schon fest, wird Cenk zum Glück aber auch über das Ende der aktiven Karriere erhalten bleiben. In welcher Art auch immer.
Zuerst einmal vielen Dank, dass du während des Trainingslagers der türkischen Nationalelf Zeit für unser Interview gefunden hast und darüber hinaus herzlichen Glückwunsch zur Geburt deines Sohnes Arden Cenk – wenn ich den Namen richtig im Kopf habe.
Danke, vielen Dank – genau so heißt er, ja.
Wie fühlt sich das neue Leben als Vater für dich an? Arden Cenk ist dein erstes Kind, wenn ich richtig informiert bin.
Genau, das ist unser erstes Kind. Ja, es ist echt ein tolles Gefühl. Wir haben jetzt den deutschen Pass beantragt. Es braucht eine Woche oder 10 Tage, bis der da ist. Ich habe jetzt die letzten zwei bis drei Wochen allein in England gelebt. Meine Frau und der Kleine waren noch nicht hier in Liverpool. Aber wir sprechen ständig über FaceTime und an den freien Tagen war ich halt dort. Die lange Flugzeit hat mir gar nichts ausgemacht. Du denkst 24 Stunden an das kleine Kind und du denkst, dass dein Leben einfach vorher gar keinen Sinn hatte, weißt du. Das ist einfach unbeschreiblich. Man kann das gar nicht erklären, Chris. Ich hoffe, dass das jeder Mensch auf dieser Welt erleben kann.
Aber wie machst du denn das jetzt? Du sagst gerade, dass du oft gereist bist – auch lange Strecken. Wird deine Frau jetzt zu dir kommen und mit dir zusammen in England leben oder bleibt es weiter auf die Distanz?
Nein. Wir sind ja beide deutsche Staatsbürger, meine Frau und ich. Deswegen kriegt der Kleine auch die doppelte Staatsbürgerschaft – jetzt erstmal bis zum 18. Lebensjahr. Sobald der Kleine den deutschen Pass hat, dann fliegen wir auch rüber nach England. Ich vermisse ihn hier sehr.
Nach vielen Spielen haben wir meistens nur ein Tag frei, aber wenn das Spiel gut verläuft oder wenn wir die drei Punkte holen, dann gibt der Trainer mir auch einen doppelten freien Tag und dann kann ich den Kleinen auch sehen. Ich meine, die 4 Stunden Flugzeit und dann noch die 3 Stunden Zeitunterschied, das macht schon ein bisschen Kopfschmerzen. Aber das lohnt sich zu 100 Prozent, das ist kein Problem für mich.
Das heißt Mama und Sohn sind momentan in Istanbul.
Die sind momentan noch in Istanbul, genau und wir haben jetzt noch eine Nanny.
Wird die Mama es schaffen, dir den Rücken völlig freizuhalten? Ein kleines Kind hat natürlich gravierende Auswirkungen auf dein Leben und gerade als Profi bist du natürlich auf Schlaf und den Trainingsrhythmus angewiesen.
Ja, auf jeden Fall. Sie war schon die ganze Zeit, seitdem wir jetzt verheiratet sind, hinter mir. Immer an meiner Seite – an meinen schlechten Tagen, an meinen guten Tagen und jetzt die letzten drei Wochen habe ich relativ gut geschlafen, weil sie ja noch nicht mit mir in England sind. Aber, wie gesagt, das werden wir schon durchziehen. Viele Fußballer kriegen Kinder und ich werde ihr dabei helfen, sie wird mir dabei helfen und das wird schon.
Kommen wir jetzt mal zum Thema Fußball. Frankfurt, Antep, Istanbul, Liverpool. Gibt es dabei Dinge wo du sagen kannst, das haben diese Städte gemeinsam oder sind sie so gewaltig unterschiedlich, dass man sie im Grunde genommen überhaupt nicht miteinander vergleichen kann?
Ja, alle Städte hatten eine sehr große Fußball-Liebe gemeinsam, das kann ich sagen. Ich habe bei Frankfurt gespielt, ein sehr großer Fußballclub mit einer sehr großen Historie. Und ich kann sagen, dass ich meine ganze Jugendzeit, also meine ganze Kindheit, bei Frankfurt verbracht habe. Ich habe mehr die Kabinen gesehen – sage ich mal so – als mein eigenes Zimmer zuhause.
Ich bin mit 6 Jahren zu Frankfurt gegangen und dann habe ich bis zu meinem 18. Lebensjahr bei der Eintracht gespielt. Die ganzen Jugendabteilungen durchgespielt. Unter Friedhelm Funkel habe ich meinen Profivertrag bekommen, habe dann bei Michael Skibbe weniger gespielt, weil ich halt viele Stürmer vor mir hatte, die in deren eigenen Nationalmannschaften gesetzte Stammspieler waren.
Das war natürlich nicht einfach. Ich bin dann einen Weg eingegangen (der Wechsel zu Gaziantepspor, Anmerkung der Redaktion), der relativ riskant war. Denn wenn ich mich bei Antep nicht hätte durchsetzen können, wäre vielleicht meine Fußballerkarriere vorbei gewesen. Ich hätte dann irgendwie in Deutschland in der dritten Liga oder so gespielt. Gott sei dank habe ich immer zu Gott gebetet, was für mich der richtige Weg ist und gesagt „Hilf mir einfach dabei“ und bin halt diesen Weg mit Gaziantep gegangen – und das hat mein ganzes Leben verändert. Ich habe in Antep fantastische 3,5 Jahre verbracht, habe mich in der Türkei sehr präsent gezeigt und viele Tore dort geschossen.
Und bin danach zu einem größeren Club, zu einem Topclub, zu einem internationalen Club – Beşiktaş – gewechselt. Im ersten Jahr habe ich zwar weniger gespielt, da ich Demba Ba im Sturm vor mir hatte. Das war halt ein Schnupperjahr für mich, in dem ich meistens in der zweiten Halbzeit gespielt habe. Im zweiten Jahr spielte ich öfter, habe mit Mario Gomez rotiert – aber auch öfter in der zweiten Halbzeit. Dann habe ich meine erste Meisterschaft in diesem zweiten Jahr mit BJK gewonnen und mir im dritten Jahr vollkommen andere Ziele gesetzt. Im Trainingslager habe ich mir gesagt, dieses Jahr musst du Stammspieler werden, Cenk. So habe ich auch trainiert. So habe ich auch in den Freundschaftsspielen gespielt und habe mir über Leistung den Stammplatz erobert. Und in dem Jahr haben wir uns wieder die Meisterschaft geholt, das war natürlich das Highlight des Jahres für mich. Im dritten Jahr bei Beşiktaş habe ich sehr gut gespielt, auch international viele Tore geschossen in der Champions League und das hat mir dann die Türen für die Premier League geöffnet. Das war natürlich mein größtes Ziel, denn die Premier League ist einfach, meiner Meinung nach, die beste Liga auf der Welt. Sehr schneller Fußball, sehr harter Fußball, die Defensivspieler spielen sehr hart und es macht einfach Spaß dort zu spielen. Ich denke, auch den Zuschauern macht es Spaß zu sehen, wie in der Premier League gespielt wird.
Tolle Überleitung, Cenk, denn du hast den direkten Vergleich. Du kennst die Bundesliga, die Süper Lig und die Premier League. Drei Ligen, die sich von den Spielanlagen gravierend unterscheiden. Welche Spielweise kommt dir als Stürmer am meisten entgegen?
In Deutschland und in England wird richtig hart Fußball gespielt, auch schneller Fußball. In der Türkei findet mehr der technische Fußball statt. In der Süper Lig sind sehr viele technisch versierte Spieler, richtig gute Spieler. Das hat auch viel mit den Ausländern zu tun, die die Liga bereichern. Viele Brasilianer und Portugiesen sind in der Liga und deswegen ist die Liga technisch sehr gut.
Es war natürlich nicht einfach für mich jetzt in der Premier League nach der türkischen Süper Lig zu spielen – das sind halt zwei ganz verschiedene Ligen. Aber nach meiner Meinung bin ich zu beiden Spielweisen gut fähig, denn das habe ich in Deutschland gelernt. Schneller Fußball, der auch eine gesunde Grundhärte mitbringt. Auch mal hart an den Mann rangehen, die Defensivspieler tackeln.
Du hast in den letzten 10 Jahren gegen wirklich hervorragende Gegenspieler gespielt. Gibt es den Gegner, bei dem du sagst: „Junge, der hat mir wirklich am meisten abverlangt, da musste ich mich richtig reinhängen?“ Wer hat dich von seiner Spielweise als Gegenspieler am meisten beeindruckt?
Spontan denke ich an Virgil van Dijk – ein super Spieler. Er hat mich sehr beeindruckt. Sein Auftreten war ganz anders. Gerad jetzt mit dem Selbstvertrauen, weil er gut spielt und für großes Geld zu Liverpool gewechselt ist, steht er halt auch ganz anders auf dem Platz. Ja, er hat mich relativ beeindruckt.
Wenn wir schon bei der Reise in die Vergangenheit von Cenk sind: Von der U16 bis zur U21 hast du alle Stationen in den deutschen Teams durchlaufen. War „Die Mannschaft“ eigentlich nie ein Thema für dich?
Doch, es war immer ein Thema. Ich habe ja nicht umsonst bei den deutschen Jugendmannschaften gespielt. Ich habe bei der U16 bis zur U21 sehr tolle Tage gehabt – auch sehr erfolgreiche Tage. Es gab sogar Spiele, in denen ich die Kapitänsbinde tragen durfte und deswegen habe ich immer für Deutschland spielen wollen.
Aber als ich dann bei Antep sehr guten Fußball gespielt habe und sehr erfolgreich war, kam einfach von der Türkei die erste Anfrage. Und als mich dann Guus Hiddink angerufen hat, habe ich natürlich ohne Zögern direkt zugesagt. Ich sage es mal so: Die Türkei ist ja auch mein Vaterland, ich hab mich mehr zur Türkei gezogen gefühlt – aber ich hätte natürlich auch für Deutschland spielen können, falls Deutschland mir ein Angebot für die A-Nationalmannschaft gemacht hätte. Bei der U21 konnte ich mit sehr großen Spielern spielen, die jetzt auch bei der A-Nationalmannschaft sind (u. a. Sebastian Rudy, Anmerkung der Redaktion). Deswegen war ich vielleicht auch kurz vor dem Sprung zur A-Nationalmannschaft. Aber als dann halt der Anruf kam von Hiddink, habe ich ehrlich gesagt auch nicht lange gezögert.
Bewegen wir uns nun ein Stück in die Gegenwart hinein. Deine Qualitäten als Stürmer sind unbestritten – ohne Wenn und Aber. Technisch versiert, gutes Auge, in der Lage Spielsituationen zu antizipieren, vorauszudenken. Wärst du mit deinen Qualitäten, die du ja zweifelsfrei mitbringst und international unter Beweis gestellt hast, vielleicht sogar die passende Antwort für die Stürmerfragen von Jogi Löw gewesen?
Ja, ich wäre als deutscher Nationalspieler auf jeden Fall eine Option gewesen. Vor ein paar Jahren noch, als Deutschland Weltmeister wurde oder davor bei der EM, hatte Deutschland richtig gute Stürmer. Ich nenne mal Mario Gomez, Klose oder Podolski. Da gab es immer zwei oder drei Tore im Spiel für Deutschland. Aber mittlerweile machen sie es sich selbst etwas schwer. Deutschland hat aktuell nicht die Stürmer, die zum Team passen. Klar, sie haben wieder eine super Mannschaft. Das Mittelfeld, die Verteidigung – beide sind super. Doch als richtigen Neuner haben sie zurzeit wirklich keinen Stürmer und das wäre vielleicht eine Möglichkeit für mich gewesen. Aber das ist natürlich Spekulation. Vor 5-6 Jahren ist die Chance halt entgangen, als ich die türkische Nationalmannschaft gewählt habe.
Kommen wir zur EPL. Es sind 12 Spieltage gespielt. Ihr seid 8 Punkte hinter dem Tabellenvierten Tottenham. Die UCL ist aktuell greifbar. Ist es euch beim Traditionsclub FC Everton erlaubt, ein bisschen von der UCL zu träumen? Gibt es im Goodison Park in der nächsten Saison wieder internationalen Fußball?
Ja, wie du auch sagst, wir sind echt ein Traditionsclub mit einer Geschichte. Super Fans, tolle Fans! Deswegen wurden auch im Sommer sehr gute Transfers eingefädelt. Aus dem Grund denke ich, dass unsere Fans und das Präsidium es einfach einmal verdienen, dass wir europäisch mitspielen. Natürlich haben wir letztes Jahr keine gute Saison gespielt. Wir sind Achter geworden, haben europäisch nicht mitspielen dürfen. Aber ich finde, Everton ist ein Klub, der jedes Jahr international spielen muss. Natürlich hast du halt in der Premier League Gegner auf Platz 1 bis 6, die ebenfalls große Namen haben. Darum tut man sich gegen sie auch oft schwer. Aber wenn du eine gute Saison hast, spielst du dann auch mal Champions League. Ich sage trotzdem, wir müssen jedes Jahr international dabei sein. Europa League muss auf jeden Fall drin sein dieses Jahr und wenn wir eine tolle Saison spielen, wieso nicht auch die Champions League.
Komm, schauen wir in die Zunkunft – 2. Dezember. Merseyside Derby. Jetzt bist du ja natürlich jemand der aus Istanbul sagen kann: „Derby – kenne ich. Haben wir alles schon gehabt, haben wir alles schon gesehen“. Aber wie unterscheidet sich für dich das Merseyside Derby von den Derby-Partien, die du in Istanbul gespielt hast? Das Merseyside Derby gegen Liverpool und natürlich auch Jürgen Klopp ist ja eine besondere Sache für euch in Liverpool. Wie gehst du da rein?
Ich habe ja letztes Jahr das Merseyside Derby bei uns im Goodison Park spielen dürfen. Ich kam im Winter zu Everton und das ist natürlich ein ganz anderes Gefühl. Da brauchst du dich gar nicht mehr mental motivieren. Bei solchen Spielen ist man automatisch motiviert. Die ganze Stadt hier lebt das Spiel. Überall in der Stadt sind rot und blau gedresste Fans. Es ist wie in der Türkei. Die Stadt steht für 90 Minuten nur still und jeder ist beim Spiel.
Beim Derby in der Türkei, weil wir auch sehr emotional sind, vergisst man manchmal, dass Fußball nur ein Sport ist. Wie jetzt zum Beispiel beim letzten Derby Galatasaray gegen Fener. Solche Sachen schaden einfach nur dem Fußball und auch unserem Land. In England ist das ganz anders. Diese Woche hat Manchester City gegen United gespielt. Da sieht man nach oder während des Spiels nichts zwischen den beiden Fangruppen. Du hast sehr selten, dass irgendwas nach dem Spiel passiert. In der Türkei vergisst man leider manchmal, dass Fußball nur ein Sport ist. In England ist es so: 90 Minuten wird auf dem Platz geackert, alles geben. Super Derby gespielt – und nach dem Spiel gibt man sich die Hand und geht nach Hause.
Du wünschst dir also auch für die Derbys in der Türkei – was die Fans angeht – weniger an Gift vor, während und nach den Matches?
Ja, ja, ja. Absolut.
Springen wir von der Insel in die Bundesliga – zur SGE. Die rocken momentan die Europa League, 4 Spiele, 4 Siege, 12 Punkte. Mehr geht nicht. Überragend!
Überragend, ja überragend. Auch in der Liga überragend.
Kommt das nach dem Wechsel von Kovac zu den Bayern eigentlich überraschend für dich oder würdest du sagen, die Mannschaft ist so in sich gewachsen und gefestigt, im Grunde genommen kann die trainieren wer will? Hat der Gewinn des DFB-Pokals der Eintracht so einen Boost gegeben, dass sie diese Saison locker runterspielen werden?
Ich denke, dass sie jetzt mit Bobic und dem neuen Trainer Adolf „Adi“ Hütter einfach nur sehr gut arbeiten. Eintracht ist auf einem sehr guten Weg. Die Arbeitsweise ist einfach nur faszinierend, was sie in den letzten Jahren betreiben. Wie gesagt, sie sind auf einem sehr guten Weg. Sehr gute Transfers im Sommer und auch die Spieler, die im letzten Jahr erfolgreich waren, konnten sie halten. Deswegen sage ich – auch wenn der Trainer natürlich immer viel ausmacht – die Arbeitsweise von Eintracht Frankfurt ist einfach nur überragend zurzeit.
Die du ja auch kennst.
Ja klar, damals waren wir natürlich auch schon sehr professionell. Aber ich denke, dass sie sich in dieser Hinsicht nochmals enorm verstärkt haben.
Nachdem sich die SGE im ersten Saisondrittel im oberen Tabellenbereich festgesetzt hat, als Tabellenvierter immerhin vor Bayern München, denkst du, dass da auch die Champions League realistisches Ziel sein sollte?
Ich denke, dass Frankfurt es schaffen kann, nächstes Jahr mit in der Champions League dabei zu sein – wenn sie die Saison weiterhin so konstant spielen. Es ist jetzt ein Drittel gespielt und da ist es natürlich noch relativ früh über sowas zu reden. Außerdem hast du ausgezeichnete Mannschaften wie Dortmund oder Gladbach in der Bundesliga. Man muss einfach die Saison konstant weiter so wie bisher spielen. Und wieso nicht? Wieso sollte Eintracht Frankfurt nicht in der Champions League spielen? Wenn man in der Europa League in 4 Spielen 12 Punkte holt, dann heißt das schon was. Und man ist – denke ich mal – dann auch bereit für die Champions League.
Auf geht`s in die Türkei. In die Süper Lig. Vorne Başakşehir, Galatasaray dahinter. Aber dann kommen Vereine wie Kasımpaşa, Antalyaspor, Ankaragücü. Fenerbahçe relativ weit hinten, Beşiktaş auf dem neunten Platz. Denkst du, es könnte tatsächlich in der Süper Lig den großen Wandel geben und „kleinere Vereine“ in die Phalanx der Großen einbrechen können?
Wieso nicht, wieso nicht, Chris? Ich meine, in der Süper Lig ist es nicht mehr so wie früher, dass die 3 großen Clubs einfach gegen die kleinen Mannschaften, die sogenannten kleinen Mannschaften, immer gewinnen und am Ende die letzten 5-6 Spieltage die drei Großen die Meisterschaft untereinander regeln. Man tut sich in der Türkei heute gegen jede Mannschaft schwer. Es gibt richtig gute Mannschaften in der Süper Lig. Wie gesagt, Kasımpaşa, Antalyaspor sogar Malatya spielen eine tolle Saison dieses Jahr. Oder Başakşehir. Sie spielen seit 3 oder 4 Jahren richtig guten Fußball. Da macht es mir richtig Spaß zuzusehen. Wenn sie bei Başakşehir so weiterspielen und konzentriert bleiben, sind sie die größte Herausforderung für die anderen Mannschaften. Und ich finde, dass sie einen tollen Fußball spielen und es in diesem Jahr verdienen, Meister zu werden. Aber es ist, wie gesagt, noch relativ früh. Es sind nur 12 Spiele gespielt und über die Meisterschaft zu reden ist noch relativ früh.
Stichwort Beşiktaş. Blutet dir das Herz zu sehen, dass sie momentan tatsächlich mehr oder weniger im erweiterten Mittelfeld stehen? Und was meinst du, woran liegt es? Fehlt Cenk?
Nein, Cenk fehlt nicht. Jede Position kann ersetzt werden, das hat nichts mit mir zu tun. Wir haben viele Spieler verloren. Talisca musste wechseln, Fabricio, der Tormann hat gewechselt, sogar Tosic oder Marcelo sind gegangen. Deswegen haben wir unsere tolle Truppe verloren. Und ich denke mal, dass die Transfers, die gemacht wurden, einfach die gewechselten Spieler nicht 1 zu 1 ersetzen konnten. Aber Beşiktaş ist immer noch im Meisterschaftsrennen dabei. Die Fans brauchen sich ganz sicher keine Sorgen machen. Im Winter und dann mit den richtigen Transfers ist man auf jeden Fall wieder ganz oben dabei. Sie machen es sich schwer, vorne Tore zu schießen. Sie haben bei Beşiktaş noch nicht den richtigen Stürmer gefunden. Aber wie gesagt, das kann man im Winter regeln. Die Fans sollen zuversichtlich bleiben, sie sollen zur Mannschaft stehen. Sie machen jetzt natürlich eine schwere Saison durch. Ist auch nicht einfach für die Fans – gerade nach zwei Meisterschaften und einer relativ guten Saison letztes Jahr – so schlecht in die Süper Lig zu starten. Aber wie gesagt, die Fans sollen einfach zu unserer Mannschaft stehen.
Unsere Mannschaft klingt gut!
Ja, meine alte Mannschaft sage ich mal.
Man merkt, das Herz schlägt dann tatsächlich doch noch ein Stück in Istanbul und für Beşiktaş.
Ja, wieso auch nicht? Ich habe dreieinhalb Jahre lang eine supertolle Zeit dort gehabt und natürlich liegen mir alle Mannschaften am Herzen, wo ich einmal gespielt habe.
Jetzt haben wir natürlich noch die Frage nach dem „Tosun Paşa“ – deinem Schlachtruf im Stadion. In Antep ist der entstanden, oder? Wie kam es dazu? Haben dir die Burschen gesagt, wie sie darauf gekommen sind?
Nein, das haben sie mir nie gesagt. Aber sie haben mich seit dem ersten Spiel „Tosun Paşa“ genannt – es ist wahrscheinlich einer Fangruppe irgendwie eingefallen – und dann haben die mich auch vor den Spielen als „Tosun Paşa“ zur Tribüne gerufen Und ja, es gefällt mir auch, das macht mir keine Probleme.
Wo wir dann auch direkt wieder dabei sind. 17. November. Schweden wartet in Konya. Mit dir in der Startformation?
Ich hoffe. Ich bin derzeit im Grunde recht gut aufgestellt in der Nationalmannschaft. Ich habe die meisten Spiele auch gut gespielt. Und ich denke mal schon, dass ich am Samstag in Konya in der Startelf stehen werde.
Wir müssen das Spiel auf jeden Fall gewinnen, damit wir noch Zweiter in der Gruppe werden. Wir haben ja leider keine Chance mehr auf den ersten Platz. Aber um nicht abzusteigen, müssen wir auf jeden Fall Zweiter werden. Und deswegen muss man eigentlich vor eigener Kulisse gegen Schweden gewinnen.
3 Punkte sind also gesetzt?
Auf jeden Fall! Das müssen wir!
Gehen wir nochmals wie zu Beginn in den privaten Bereich. Wetzlar. Dein Geburtsort. Wie stark ist die Bindung nach Hessen, Wetzlar und Frankfurt?
Sehr stark noch. Meine Schwester und mein Schwager leben in Unterliederbach, meine Nichte ist dort. Ich vermisse sie alle sehr. Natürlich sehe ich sie alle immer wieder, denn aus England ist es nicht weit. Du fliegst du nur eine Stunde 15 Minuten nach Frankfurt und deswegen bin ich häufiger dort. Auch in Wetzlar bin ich öfter, weil meine Familie, Freunde und Bekannte noch dort leben. Ja, immer wenn ich in Deutschland bin, bin ich auch Wetzlar, wo meine Oma wohnt, mein Onkel und meine Verwandten.
Dein Vater hat dich schon als junger Bursche immer unterstützt. Er war immer an deiner Seite. Kannst du sagen, er war der wichtigste Faktor in deiner Karriere? Ist es korrekt zu sagen: „Ich habe stets den Rückhalt in der Familie gehabt, mein Vater hat mir all das möglich gemacht. Er hat mich immer unterstützt – egal, ob es gut lief oder schlecht lief“?
Ja, auf jeden Fall. Wenn ich jetzt hier als Everton- und Nationalspieler Cenk Tosun stehe, dann ist es vielleicht so, dass mein Vater mehr Anteil daran hat als ich. Ich habe ihm wirklich mehr zu verdanken als man denkt. Er hat in meiner schlechten Zeit und in meiner guten Zeit immer zu mir gestanden. Wie alle allgemein aus meiner Familie. Meine Mutter, meine Schwester – alle. Aber mein Vater natürlich einen Tick mehr. Er hat bei der Lufthansa gearbeitet und ist dann sofort nach Hause gekommen, hat mich abgeholt und umgehend nach Frankfurt zum Training gefahren. Wir haben ja nicht direkt in Frankfurt gelebt. Es waren immer 35 bis 40 Kilometer hin und dann nochmal an die 40 Kilometer wieder zurück. Keine Müdigkeit zählte. Gar nichts. Mein Vater hat mich immer supportet, zu jedem Training, zu jedem Spiel. Ich kann ihm nicht genug dafür danken.
Auch wenn du noch viele aktive Jahre vor dir hast: Wo siehst du dich denn nach deiner aktiven Karriere? Auf dem Trainerstuhl in Deutschland, im Management in der Türkei oder doch als Spielerberater in England?
Das weiß ich wirklich noch nicht. Ich würde auf jeden Fall gerne noch weiter im Fußball bleiben. Als Trainer oder Spielerberater oder im Fernsehen als Reporter – aber auf jeden Fall ist es mein Ziel, auch nach der aktiven Zeit weiter dem Fußball treu zu bleiben. Mit 35 Jahren neigt sich beim Fußballer die aktive Karriere dem Ende zu. Aber mit 35 bist du ja nicht alt, hast vielleicht noch viele Lebensjahre vor dir. Deswegen würde ich am liebsten im Fußballbusiness bleiben.
Wir als Hürriyet.de und ganz besonders ich danken dir für dieses tolle Interview und wünschen dir viel Erfolg beim Länderspiel, in der Liga und beim Derby!
Ich danke euch auch, wünsche einen guten Seitenstart und es hat mir viel Spaß gemacht, mit dir zu sprechen, Chris.
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Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.hurriyet.de
Link: https://www.hurriyet.de/news_cenk-tosun-exklusiv-bei-hurriyet-de1_14351227.html
Autor: Christian Ehrhardt