Belgien 1990: Eine simple Klage auf Schadensersatz sollte den Ursprung und die Kraft haben, die Fußballwelt zu erschüttern und den Transfermarkt zu revolutionieren. Den Grundstein dazu legte mit Jean-Marc Bosman ein belgischer Mittelfeldmann, der weniger wegen seiner Qualitäten auf dem Platz, sondern vielmehr aufgrund des nach ihm benannten Urteils im Gedächtnis blieb, das am 15. Dezember 1995 verkündet wurde.
Auslöser der folgenschweren Klage war ein Streit Bosmans mit seinem damaligen Verein, dem belgischen Erstligisten RFC Lüttich, infolgedessen ihm ein Verlängerungsangebot zu deutlich geringeren Bezügen als zuvor vorgelegt wurde. Wechselwillig, mit auslaufendem Vertrag und quasi mit dem französischen Zweitligisten USL Dunkerque einig, drängte Bosman auf einen Transfer. Zu jener Zeit war es jedoch üblich, bei Profifußballern auch nach Ablauf des Kontraktes Ablösesummen zu fordern. Der Ursprung dieser Vorgehensweise findet sich in der Förderungs- bzw. Ausbildungsentschädigung, die jeder abgebende Verein vom aufnehmenden Klub fordern konnte, da noch keine rechtlichen Unterschiede bestanden zwischen Profifußballern mit laufendem Vertrag und solchen, deren Arbeitspapiere ausliefen.
Bosman-Urteil: Ablösefreier Abgang bei Transferende ermöglicht
Aufgrund dieses Umstandes war Lüttich berechtigt, trotz des endenden Kontraktes eine Ablöseforderung für Bosman zu stellen. Da Lüttich dem Vernehmen nach den Betrag von 800.000 US-Dollar forderte, nahm Dunkerque Abstand von einer Verpflichtung. Bosman war nun in dem Dilemma, entweder einer Verlängerung bei Lüttich zu deutlich geringeren Bezügen zuzustimmen oder einen Verein zu finden, der den überhöhten Forderungen seines Klubs nachkam.
Gefangen in dieser Zwickmühle, suchte er nach Alternativen und verklagte seinen Verein und den belgischen Fußballverband auf Schadensersatz und Verzicht auf Forderung einer Ablösesumme. Der Fall ging bis zum Europäischen Gerichtshof, der im Dezember 1995 schließlich das Bosman-Urteil verkündete: Ablösesummen können seitdem nur noch dann eingefordert werden, wenn der Spieler einen laufenden Vertrag besitzt.
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Das Urteil besitzt Strahlkraft bis in die heutige Zeit. Konnten die Spieler zuvor noch mit überhöhten Forderungen von einem Wechsel abgehalten und zur Verlängerung bewogen werden, war der Spielermarkt nun liberalisiert. Die Profis konnten frei entscheiden, welchem Verein sie sich nach Vertragsende anschließen würden. Ablösesummen konnten die Vereine der EU nun lediglich durch einen Wechsel während der Vertragslaufzeit erhalten. Zudem besagte das Urteil, dass die in einigen Ländern geltenden Regelungen, nach denen nur eine bestimmte Anzahl von Ausländern in einer Mannschaft eingesetzt werden durften, ungültig seien, sofern Spieler aus den EU-Staaten davon betroffen waren.
„Das war ein Urteil mit schwerwiegenden Folgen für den Fußball, ganz speziell für die Klubs. Bis dahin hatten wir eine relativ gut funktionierende Welt unter den Klubs“, wies Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge 2015 im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf die weitreichenden Konsequenzen hin. „Mit dem Urteil kam eine große Bewegung in Sachen Gehälter, Transferablösen, etc. Es war schön für die Spieler und schlecht für die Klubs.“
Mit den neuen Regelungen ging innerhalb der Vereine zwangsläufig ein Umdenken bei ihren Transferstrategien einher: Die abgebenden Klubs mussten einen Verkauf vor Vertragsablauf anstreben, um eine Ablöse zu generieren. Die finanzstarken Vereine konnten ihre Angebote nun zunehmend vielversprechender an die unter ihnen angesiedelten Vereine richten. Diese Klubs verpflichteten wiederum die stärksten Spieler aus dem Segment darunter. Im Verlaufe entwickelte sich durch das neue System ein nahezu undurchdringlicher Kreislauf, in dessen Folge die finanziell potentesten Vereine zunehmend wachsen konnten.
Besonders deutlich – jedoch nicht ausschließlich als Folge des Urteils – wird dies an der zunehmenden Anzahl an Serienmeistern. Vereine, die ihre nationale Liga über Jahre hinaus – auch und vor allem finanziell – dominieren. Serienmeister und finanziell stärkere Vereine gab es auch vor der Zeit des Urteils. Daher ist der Entscheid keinesfalls als komplette Richtungsänderung zu verstehen, sondern als Ausgangspunkt einer fortwährenden Entwicklung, die die Heterogenität der Ligen schwächte. In der Bundesliga etwa ging die Meisterschaft seit dem Bosman-Urteil etwa 16 Mal an den FC Bayern München, nur acht Mal standen andere Klubs am Ende der Saison an der Tabellenspitze.
Anstatt dass Spieler wie zuvor länger bei ihren Vereinen blieben, trieb es sie vermehrt von einem Klub zum ebennächsten finanzstärkeren Verein, was auch mit drastisch steigenden Gehältern einherging. Gerhard Aigner, ehemals Generalsekretär der UEFA sagte 2004: „Um ganz ehrlich zu sein war die Einführung der Bosman-Regelung eine Katastrophe für den Sport und insbesondere für den Fußball.“
Bosman-Urteil veränderte Transferphilosophien einiger Klubs
Auch laut Michael van Praag, dem ehemaligen Präsidenten von Ajax Amsterdam hat sich nach dem Bosman-Urteil „alles geändert“ – und das nicht zum Positiven (zitiert via „Goal“). „Wir verloren Patrick Kluivert ablösefrei an Milan. Aber er war dort nicht erfolgreich, also haben sie ihn ein Jahr später für 12 Millionen Euro an den FC Barcelona verkauft. Wir haben ihn zwölf oder 13 Jahre lang ausgebildet und bekamen nichts.“ An dieser Aussage lässt sich der Einfluss der Entscheidung in der Folgezeit einigermaßen abmessen. Ein internationaler Pokalerfolg wurde unter den neuen Umständen für einige der ehemaligen Pokalsieger zunehmend unwahrscheinlicher. Seit dem Bosman-Urteil gab es mit dem FC Porto nur einen Verein außerhalb der Top-5-Ligen, der die Champions League gewann.
Um ähnliche Fälle wie Kluivert zu vermeiden, versuchen die Klubs nun vor allem Talente, die im veränderten Transfersystem erhöhte Rendite versprechen, länger an den Verein zu binden. Bei Profis, die aufgrund höheren Alters ein geringes Ablösepotential haben, gilt hingegen das umgekehrte Prinzip. Bezeichnend dafür ist etwa der FC Chelsea, der Spielern über 30 nur in Ausnahmefällen eine Verlängerung länger als ein Jahr anbietet. Ligakonkurrent FC Arsenal strebt ein Kaderplanungskonzept an, das die Beschäftigung von Spielern, die weniger als zwei Jahre gebunden sind, ausschließt.
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Das Bestreben der Vereine – vor allem derer, die versuchten, den vorher genannten Kreislauf zu durchbrechen – liegt nun vor allem darin, die erzielten Ablösesummen zu maximieren. Ajax etwa versteht sich in erster Linie als Entwicklungsklub für Talente, die den Klub für eine möglichst hohe Ablöse verlassen dürfen – so etwa im vergangenen Sommer, als allein die Verkäufe von Matthijs de Ligt und Frenkie de Jong zusammen über 160 Millionen Euro in die Kassen spülten. Eine Karriere wie die des ehemaligen Welttorhüters Lev Yashin, der seine gesamte fußballerische Laufbahn bei Dinamo Moskau verbrachte, gibt es indes immer seltener.
Bosman: „Mein Urteil wird nur noch benutzt, um Geld zu verdienen – Eine Perversion“
Zwangsweise stiegen die Ablösesummen und Marktwerte für Spieler immer weiter an. Durch längere Vertragslaufzeiten und finanzstärkere Klubs in den oberen Sphären können immer höhere Ablösesummen gefordert werden. Auch wenn aufgrund mannigfaltiger Gründe insgesamt mehr Geld im Umlauf ist, klaffte eine zunehmend wachsende Schere in der finanziellen Stärke der Vereine. Eine Entwicklung, die bis heute andauert und ihren Ursprung mitunter im Bosman-Urteil hat.
Bosman selbst sieht diese Entwicklungen skeptisch: „Es ist paradox. Das Bosman-Urteil wurde erschaffen, um den Wohlstand an alle zu verteilen und im Speziellen die armen Spieler zu stärken. Nun profitieren nur einige wenige davon“, erklärte er 2015 im Gespräch mit der italienischen Zeitung „Gazzetta dello Sport“. „Der ursprüngliche Gedanke war ein anderer: Fußballer wurden wie Tiere gehalten, ich habe sie befreit.“
Die angesprochene Befreiung der Spieler sei auch aufgrund von Ausstiegsklauseln nicht gegeben, führte Bosman 2019 in einem Interview mit der „Bild“ weiter aus: „Dann haben die Vereine reagiert, indem sie hohe Ablösesummen in die Verträge geschrieben haben. Und das wird von der FIFA und UEFA akzeptiert. Jetzt entscheidet wie vor dem Bosman-Urteil nicht mehr der Spieler, ob er geht oder bleibt, sondern der Verein. Wenn die Ablöse stimmt, wird der Spieler verkauft. Mein Urteil wird nur noch benutzt, um Geld zu verdienen – von den Klubs, den Spielern und ihren Beratern. Eine Perversion.“
Hinweis: Dieser Artikel erschien zuerst auf www.transfermarkt.de
Autor: KardinalKlobig
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